17. März 2011

Erfahrung, Erinnerung und Glücksbegriff

Ein Grund, warum der Glücksbegriff - auch für die Forschung - schwierig ist, liegt im fundamentalen Unterschied zwischen dem Glückserleben und der Erinnerung an eine Zeitspanne mit Glücks- und anderen Momenten:

G1: Wie glücklich bin ich in meinem Leben (während seines Vollzuges)?
G2: Wie glücklich bin ich über mein Leben (z.B. wenn ich es bewerten soll)?

    Peak-End-Rule: Wer wären Sie lieber - Patient A oder B?

    Das Ende einer Erfahrung wiegt schwer
    Beispielsweise wird ein großartiger Film in der Erinnerung sehr viel schlechter bewertet, wenn dem Zuschauer das Ende nicht gefallen hat. Ein anderer Film, der vielleicht viel durchschnittlicher war, aber ein großartiges Ende hatte, wird hingegen als viel besser bewertet. Wir bewerten hier also nicht die Summe der schönen Aufnahmen und Momente, sondern schwerpunktmäßig bestimmte Moment, besonders die, die am Ende der Erfahrung liegen. In der Psychologie ist das die sogenannte Peak-End-Rule. Negativ funktioniert es genauso: Wenn bei medizinischen Prozeduren der größte Schmerzmoment am Ende der Behandlung liegt, wird die Behandlung als furchtbarer erinnert, als wenn der größte Schmerzmoment irgendwo in der Mitte der Behandlung liegt, selbst dann, wenn die Behandlung länger dauerte und in der Summe mehr Schmerzmomente hatte (siehe z.B. die Studie Memories of colonoscopy: a randomized trial). Denkbare Konsequenzen in der Praxis sind z.B., dass man eine Behandlung sanfter ausklingen lässt, auch wenn sie dadurch länger dauert und der Schmerzzustand sogar verlängert wird.

    Erinnerungen an Erfahrungen bestimmen unsere Entscheidungen
    Wichtig ist das Klarwerden über den Unterschied zwischen Erleben und Erinnern, weil nicht der erfahrende Mensch Entscheidungen trifft, sondern der erinnernde Mensch. Oder anders gesagt: Wir wählen nicht aus zwischen Erfahrungen, sondern zwischen Erinnerungen an Erfahrungen. Wir würden also den einen Arzt beim nächsten Mal meiden, selbst wenn seine Behandlung kürzer und "schmerzloser" war. Objektiv gesehen ist das keine gute Entscheidung.

    Urlaub oder Urlaubserinnerungen planen?
    Ähnlich begreifen wir unsere Zukunft weniger als eine Reihe von auf uns zu kommenden Erfahrungen, sondern als zu erwartende Erinnerungen: Was werden wir mitnehmen von dem, was wir da zu erfahren hoffen? Eine Erinnerung. Oft planen wir unseren Urlaub auf diese Art. Wir haben vorher schon im Kopf, wie die Urlaubsbilder hinterher aussehen sollen, wenn wir sie unseren Freunden zeigen oder auf Facebook veröffentlichen. Es geht uns also nicht um die Erfahrung im Urlaub, sondern darum, mit dem Urlaub im Nachhinein möglichst zufrieden zu sein. Wenn es uns um das Erleben geht, sollten wir unseren nächsten Urlaub vielleicht so buchen, als wenn wir keine Bilder und keine Erinnerung mitnehmen könnten.

    Die meisten Momente in unserem Leben sind kurz (etwa 3 Sekunden) und meistens schnell vergessen. Und je gleichförmiger unser Leben abläuft, desto weniger erinnern wir davon. Zwei Wochen Urlaub können in der Erinnerung und auf Fotos genauso scheinen, als wenn es nur eine Woche war, wenn man die Zeit einfach am Strand verbringt. Ist man jedoch die ersten Tage am Strand, tourt dann durch Museen und Ausstellungen und wandert die letzten Tage in den Bergen, dann gibt es nicht nur die Erinnerung Strand, sondern auch die Kultur und die Berge. Der Urlaub ist in der Erinnerung reichhaltiger und länger. Zeit hat nur einen begrenzten Einfluss auf das erinnerte Erleben. Ein langes Leben kann also durchaus kurz sein und ein kurzes Leben lang oder erfüllt.

    Zufriedenheit vs. Glück
    Für den Urlaub und das ganze Leben gilt: Die Zufriedenheit eines Menschen mit dem Erlebten sagt nur bedingt etwas darüber aus, wie glücklich der Mensch sein Leben führt oder seinen Urlaub verbringt. Hinzu kommt, dass wir unser Leben mit gesellschaftlich bestimmten Messlatten wie z.B. Erfolg, Verdienst, Familienstand und ähnlichem bewerten. Die Frage wie glücklich das Leben in der Summe seiner Momente ist, ist viel schwerer zu beantworten.

    Mehr dazu in Englisch bei Daniel Kahneman:

    6 Kommentare:

    1. Jaja, man soll gehen wenns am schönsten ist, sagt der Volksmund. Aber sag mal, kennst du wirklich Leute die Ihren Urlaub nach den zu erwartenden Facebookfotos planen? War doch ein Witz oder?

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    2. Antwort auf nic.

      Ich denke, im Groben stimmt das Beschriebene. Nicht Jeder wird die Vielzahl seiner Erfahrungen an bestimmte Normen fest machen, nicht Jeder hat das Bedürfnis der Erklärung - und schon gar nicht der Übereinstimmung an das Normative. Wenn man gewillt ist, sein Leben in normativen Bahnen zu einem Gleichen oder Übereinstimmbaren zu leben, dann entstehen eben diese Aussagen. Sie sind nicht unbedingt und umgehend zu kritisieren. Diese Erkenntnisse sind einfach und leicht - und dies sollten auch kein Vorwurf für die denkende Person sein - eher eine Anregung für Denjenigen, der anders denkt oder annimmt anders zu denken. Wahrscheinlich sagt eine Untersuchung, dass eine Empfindung gerade mal 3 Sekunden anhält - und dann weiter und vergessen!
      Ganz so ist das nicht - es hängt mit dem eigenen Stand zusammen, mit dem eigenen Empfinden in der Welt zu stehen. Da mag eine Studie ein Normativ schaffen - zumeist sind diese eng gestreut und nur für eine bestimmte Klientel repräsentativ. Selbst Wissenschaft vermag nicht in reiner Konsequenz die Wahrheit zu verkünden. Es ist jedoch ein Versuch, kein schlechter.

      S.Z.

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    3. 1) Glück in:
      Klar, das stimmt - es sind nicht immer und bei jedem 3 Sekunden Empfinden. Ich habe aber das Gefühl (bei mir selbst), dass die Momente des Erlebens zu oft fast ohne hinzuschauen durchlebt werden. Wie auf der Autobahn. Ich muss mich oft richtig zwingen, etwas bewusst zu erleben. Bin ich eine Ausnahme? Fällt es allen anderen leicht, das Leben ganz bewusst wahrzunehmen?

      2) Glück über:
      Was ich versuche, ist, dagegen anzuschreiben, dass wir unser Leben immer an den Normen der Gesellschaft messen. Ganz ohne, geht es sicher nicht. Aber ohne das Bewusstsein über diese Automatismen, fällt es schwer, ein eigenes, möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.

      Danke, Nic! Das ist super: "man soll gehen wenns am schönsten ist" Vielleicht kommt das daher?

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    4. Das Leben GANZ BEWUSST wahrnehmen! Erst diese Wahrnehmung verhilft dazu, sich im eigenen Leben zurechtzufinden, sich objektiv, so weit machbar, eine Vielfalt der Möglichkeiten zu erschaffen. Sich orten, und dies immer und immer wieder von neuem - mit Neugier und Offenheit.
      Wenn es erst so weit ist, dass ich mich wach rütteln muss, um im Nachhinein zu reflektieren, dann haben sie mich, dann bin ich im gesellschaftlichen Moloch des Kompromisses angelangt. Dann ist echte Partizipation nur noch auf Opportunitätskosten meiner Selbst möglich. Dann ist das Normative schon in einem. Das stinkt! Das empört mich!
      Warum sind viele so besäuselt? Kommt das von der falschen Arbeit oder von der richtigen, die zu vereinnahmend ist? Oder ist es die eigene Wichtigkeit, die einen dazu treibt alles mögliche mitzunehmen, aber bloß nicht noch einen Gedanken dazu verlieren? Wisch und weg!
      s.z.


      s.z.

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    5. Hm, der letzte Absatz klingt furchtbar. Bin ich schon verloren? Oder besteht noch Hoffnung?

      Gelingt es dir tatsächlich immer zu jedem Zeitpunkt das Leben ganz bewusst zu leben? Musst du dich nie mal wachrütteln? Haben sie dich noch nie gekriegt?

      Gibt es kein Recht auf "Fehler" und Entfremdung, muss ich immer kompromisslos ich selbst sein? Kann ich nicht mal verpennen und es dann hinterher realisieren?

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    6. Meine Antwort, nur meine für mich (keine Schlaumeierei)!
      Deine Hoffnung besteht in meinen Gedanken in der Überlegung des geschriebenen Wortes. Die Entfremdung hat und kann ja gar nicht stattfinden - nicht in dem Maße,in dem man sich dennoch an Dinge orientiert. Was es auch sein mag, wie es zu bewerten ist - es ist immerhin ein Maßstab, ein Lot, eine Richtung - und dies ist eine Realitätsspanne, die jeder für sich als eine offene Option des Ertragbaren erhalten kann. Ich glaube, dass Fehler unumgänglich sind, "Entfremdung gleicht einer unvorstellbaren Illusion." Eine eigene sich wandelnde Option im Leben, die in der Lage ist mit- miteinander und füreinander in einem Kreislauf der eigenen mitgedachten Allerseitsinitiative zu fruchten, das ist mein Wollen, mein Können. Eine kleine Grundlegung im Großen und die Beschaffenheit der Gedanken.
      Garantielos!

      Alles Gute -s.z.

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