20. Oktober 2011

Impostor-Syndrom: Krankheit oder Anstand?

Menschen, die unter dem sogenannten Impostor-Syndrom leiden, können ihre eigenen Leistungen nicht akzeptieren und schreiben ihren Erfolg glücklichen Umständen und sozialen Netzwerken (dem sogenannten Vitamin B) zu. Je erfolgreicher jemand ist, desto größer ist die Gefahr, diesen Selbstzweifeln zu begegnen. Die erste Frage, die sich mir stellt: Sind diese Leute nicht vielleicht einfach Realisten, die anstatt sich selber für den Nabel der Welt zu halten, begriffen haben, wie wichtig glückliche Umstände, Zufälle, soziale Klasse und sogar Hautfarbe oder Geschlecht sind? Ich denke, da könnte was dran sein, auf der anderen Seite ist es wie immer: Die Intensität einer Einbildung oder eines Zweifels macht den Unterschied zwischen interessant und krank.

Fake it till you make it! (gefunden auf These Americans)

Das Impostor-Syndrom ist keine anerkannte psychische Krankheit und also kein Syndrom. Die beiden Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Imes, die diese immensen Zweifel zuerst 1978 beschrieben, bestanden absichtlich auf Impostor Phenomenon. Die Folgen dieses Phänomens können sich jedoch zu Krankheiten auswachsen. Davon geplagte geben schon mal ihre Karriere auf, weil sie den Druck aus der vermeintlichen Diskrepanz zwischen Anforderung und Können nicht aushalten. Andere treiben es auf die Spitze, fordern ihr Schicksal heraus und suchen durch leichtfertige Entscheidungen die Katastrophe, um endlich die vermeintliche Wahrheit über sich ans Licht zu bringen und damit vom Druck erlöst zu sein. Im schlimmsten Fall gehen die Zweifel mit Scham und letztlich Angstzuständen oder Depressionen einher. Bei solchen schweren Fällen sollte man professionelle Hilfe suchen.

Aber warum fühlen wir uns eigentlich wie Hochstapler?
Die psychologischen Studien von Clance und Imes (siehe ihre Studie - PDF in Englisch) zeigten, dass viele der betroffenen bereits in der Kindheit für ihre Intelligenz geschätzt wurden. Das kann mit dem Druck einhergehen, stets die dazu passenden Leistungen zu zeigen. Ebenfalls zu beobachten war, dass betroffene ein Gefühl entwickelten, dass ihr Wert immer an Leistungen gekoppelt war. Später kann hinzu kommen, dass man plötzlich auf der Universität nur noch mit vermeintlich sehr intelligenten Menschen zu tun hat. Man hat kaum noch Leute um sich, deren Fähigkeiten man deutlich übertrifft und das kann zu einer Art Kränkung führen: "Ich dachte, ich sei was besonderes und zähle zu den Besten." Wenn man plötzlich nur noch einer unter vielen ist, bekommt man schnell das Gefühl, das die anderen alle besser seien.

Wie gesagt, sehe ich aber auch Gründe, die solche Zweifel rechtfertigen, ohne dass man lange in die Kindheit zurück blicken müsste. In unserer Arbeitswelt können durchaus gerechtfertigte Ängste entstehen, dass man die hohen Ansprüche eigentlich nicht erfüllen kann, sondern nur durch ständiges Bluffen über die Runden kommt. Lesen Sie sich mal eine Stellenanzeige für einen durchschnittlichen Job durch. Was Sie da alles sein sollen und können müssen: Team Player und selbstständig, kritikfähig, aber selbstbewusst, belastbar und freundlich, detailorientiert, aber auch visionär, risikofreudig und sorgfältig. Vor allem muss man sich aber ständig weiterentwickeln und mit großer Verantwortung umgehen können und eine enorme Erfahrung haben. Wer fühlt sich denn von solch einem Profil nicht eingeschüchtert? Und natürlich gibt man vor, alles das zu sein, um den Job zu bekommen, nur um hinterher mit der Angst zu leben, dass all das nun auch von einem erwartet wird. Man muss ein Hochstapler sein, um überhaupt weiter zu kommen. Fake it till you make it. Die einen schämen sich dann eben hinterher dafür und die anderen nicht. Das hat nichts mit Krankheit zu tun, sondern mit Anstand.

Eine Frage des Anstands
Besonders Menschen in Führungspositionen kennen auch das Problem, dass ihre Mitarbeiter, die sie ja führen sollen, viel mehr Ahnung vom Tagesgeschäft haben, als sie selbst. Auch das haut in die selbe Kerbe, denn als Boss gibt man nur ungern zu, etwas nicht zu wissen. Näher betrachtet, ist es natürlich völlig legitim, dass der Chef nicht jedes Detail weiß. Er soll ja gerade den Überblick haben und die Strategie entwickeln. Das könnte er gar nicht, wenn er dermaßen in die alltäglichen Abläufe eintauchen würde, dass ihm der Blick fürs große Ganze abhanden käme. Auf der anderen Seite kann man ein Team nicht führen, wenn man nicht weiß, wo seine Probleme in den täglichen Abläufen sind. Hier muss man als Führungskraft die Größe besitzen, sich die kleinen Dinge des Alltags immer wieder erklären zu lassen.

Wer heute ambitioniert ist und sich nicht ab und zu fragt, was er da eigentlich macht und ob das nicht alles eine Nummer zu groß ist, der ist schlicht unzurechnungsfähig. Das Gegenteil vom Impostor-Phänomen ist übrigens der Dunning-Kruger-Effekt. Hier fehlt den betroffenen die intellektuelle Kapazität, ihre eigene Beschränktheit überhaupt zu erkennen. Solche Leute scheinen mir viel mehr Schaden anzurichten, als die, die auch mal an sich zweifeln.

2 Kommentare:

  1. Die Studie geht ja nur um intelligente Frauen ;-) vgl.
    http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/KlugeMaedchen

    ...dass viele der betroffenen bereits in der Kindheit für ihre Intelligenz geschätzt wurden...

    das Zitat macht betroffen:
    Jay Zagorsky: „Menschen werden nicht reich, weil sie klug sind”,
    womit sich der Kreis zu den Qualitäten der Stillen, die leicht überhört werden , wieder schliesst.

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  2. Ja, das ist ganz interessant, gender-(in)-sensivity einmal anders herum: Clance und Imes (auf die das ganze Impostor-Konzept zurückgeht) gingen ursprünglich davon aus, dass es nur Frauen betraf. Seit dem hat man aber festgestellt, dass Männer ebenso (wenn auch weniger augenscheinlich) davon betroffen sind. O Wunder, wir sind nicht vom Mars!

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