15. Oktober 2011

Die Ordnung des Geistes gegen Stress

Zur Zeit reden wir wieder alle vom Stress, der zum Burnout führt. Und wie so üblich externalisieren wir das Problem. Wir machen die Umstände verantwortlich oder den Chef im Büro. Die mögen ja auch oft unter den Auslösern sein. Was aber können wir für uns selbst tun? Wie erhöhen wir unsere eigene Resilienz, wenn wir nicht gleich aus dem - manchmal eben stressigen - Arbeitsleben aussteigen wollen oder können?

Eine Sache die mir in diesem Zusammenhang aufgefallen ist, möchte ich das Paradox der Integrität nennen. Dem Problem zugrunde liegt der Gedanke vom Individuum als - wortwörtlich - unteilbare Einheit. Dieses Konzept hat jedoch seine Grenzen, wenn wir über den menschlichen Geist reden: Wir sind nicht immer dieselbe Person (persona war im alten Rom übrigens die Maske des Schauspielers). Trotzdem wird das Phänomen der Spaltung in der Psychologie in der Regel als problematisch thematisiert. Und es stimmt sicher: Wir sind mehr oder minder eine Person, ob zu Hause die Mama oder auf Arbeit die Chefin - im Grunde doch dieselbe Person. Wir erwarten ja sogar Integrität von uns: Wir verlangen, dass wir die Standards und Werte, die wir zu Hause leben auch unseren Arbeitskollegen gegenüber konsequent aufrecht erhalten. Ich finde es natürlich auch irgendwie schizo, wenn jemand ganz lieb zu seinen Kindern ist, aber auf der Arbeit seine Angestellten anschreit und noch schlimmer, wenn es umgekehrt ist. Aber ist es überhaupt gut für uns, überall dieselbe Person zu sein? Was heißt das für unser Stressempfinden? Können wir dann überhaupt noch abschalten? Ich denke, dass wir uns die Fähigkeit des Abspaltens* zunutze machen können, um uns gesund zu halten. Wie ich das bewusste Abspalten zu nutzen versuche, um abzuschalten und Stress zu vermindern, dazu komme ich gleich.

Zuerst einmal gibt es aber die üblichen Dinge, die helfen können, schädlichen Stress und Burnout zu vermeiden. Hier die Top 5, meiner Lieblingstechniken:
  1. Sport - während man sich körperlich erschöpft, schaltet das Gehirn ab und man merkt förmlich, wie die viel basaleren Dinge des Lebens wichtiger werden: Atmen, Schwitzen, Durst und Schlaf. Hinzu kommen Aggressionsabbau, ein größeres Selbstbewusstsein, besseres Immunsystem usw.
  2. Meditation - ein Entspannen und ganz bewusstes Entfernen vom nervigen Kleinklein des Alltags
  3. Ein gutes Buch lesen, das einen fesselt und so ein Paralleluniversum erschließt (ich empfehle Cormac McCarthy)
  4. Überhaupt: Hobbys und Freunde - sie eröffnen andere Sinnzusammenhänge als immer nur Arbeit, Arbeit, Arbeit
  5. Grenzen ziehen: E-Mails oder Telefonanrufe von der Arbeit nicht nach Hause durchlassen, Feierabend machen
Die vielen Zimmer in meinem Oberstübchen
Was ist jetzt mit der bewussten Abspaltung? Wie hilft mir das? Wenn ich nach Hause komme, versuche ich, die Dauersendung "Themen der Arbeit" auf der Leinwand meines Hirns abzuschalten. Um das zu erreichen, stelle ich mir meinen Geist sogar bildlich wie eine Art Puppenhaus oder ein Setzkasten vor, wo in jeder kleinen Box etwas anderes ist: meine Frau, Freunde, Familienmitglieder, die Arbeit, verschiedene Kollegen, der Sport, ein Buch, das Kino, mein Blog etc. Zwischen den meisten Zimmern gibt es Türen, manche halte ich streng geschlossen, andere stehen meist sperrangelweit offen. Arbeit und Sport sind zum Beispiel nicht einmal benachbart und haben gar keine gemeinsame Tür. Um ins Kino zu kommen, muss ich quasi erst mal durch Zimmerchen meiner Frau. Und wenn ich abends nach Hause komme, mache ich am Schreibtisch meines Oberstübchens einfach das Licht aus. Mir helfen diese Vorstellungen von getrennten Zimmern oder Hirn-Kästchen. Ich kann entscheiden, wo ich mich aufhalten möchte und ziehe damit Grenzen, die mir helfen, meine psychische Energien ganz bewusst zu managen. Im Übrigen hilft das auch meinen engsten Mitmenschen, wenn ich sie nicht mit all den nervigen Geschichten in einen Topf schmeiße, oder sie gar unter Stress leiden lasse, für den sie nichts können.

Ich bin mir im Klaren darüber, dass das eine sehr persönliche Art und Weise ist, mit potentiellem Stress von der Arbeit umzugehen. Sie mögen das vielleicht als zu mechanisch empfinden. Wie gehen Sie vor, um negativem Stress oder gar einem Burnout vorzubeugen? Lassen Sie es uns unten in den Kommentaren wissen.



*Abspalten und Integrieren sind zwei gegensätzliche Techniken, über die unser Gehirn verfügt. Beide sind wichtig. Die Spaltung wird meist als Unfähigkeit beschrieben, beispielsweise gut und böse (oder andere Ambivalenzen) zusammenzudenken. Das spielt dann in den Bereich der Persönlichkeitsstörungen hinein. Diese Spaltung ist hier nicht gemeint.

8 Kommentare:

  1. TOP 6: Musik machen, nicht (nur) hören
    http://www.diigo.com/user/ef12-diigo/neurobiology%20music

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  2. Oh ja, wenn man es kann! Sicher eine der besten meditativen Beschäftigungen.

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  3. *smile*... ich kann Akkordeon spielen, träumte aber immer davon, Klavier zu spielen. Jetzt bin ich 51 und fange ENDLICH damit an. Es ist wunderbar! Zum Lernen ist es nie zu spät. Im Gegenteil mache ich die Erfahrung, dass es eine ganz neue Herausforderung an meine Konzentration und Koordination der Hände ist, diese miteinander gegeneinander unabhängig und doch in Harmonie "klingend" zu bewegen. Echt faszinierend!
    Im übrigen teile ich Ihr ganz persönliches Konzept zum großen Teil. Ein anderer Ansatz für viele könnte es sein, sich einmal darüber klar zu werden, welche Ansprüche sie an sich und ihr Leben haben. Eine Analyse dessen, was Mensch tatsächlich braucht, um satt, zufrieden UND glücklich zu sein, kann Überraschungen bringen.

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  4. toll, ich habe auch als Spätberufener angefangen, Klavier zu erlernen; es macht GROSSEN Spass, auch wenn ich Perfektion nie zu erreichen gedenke ;-)

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  5. Alles gut und richtig, es fehlt nur eine Dimension. Eine entscheidende Dimension, die oft zu kurz kommt.
    Klar, Burn-Out als Stress-Erkrankung kann prinzipiell jeden treffen, der seine persönliche Belastungsgrenze massiv überschreitet.
    Die Dimension die gerade auch in den Medien häufig zu kurz kommt, sind innere Konflikte, die für permanenten, kaum bewussten Stress sorgen.
    Die obigen Tipps helfen definitiv enorm dabei, den üblichen Alltagsstress zu reduzieren.
    Wer aber von inneren, ungelösten Konflikten gestresst wird, der wird eine langfristige Reduktion seines Stresslevels nur durch Lösung der Konflikte erreichen.
    Hier kann aber beispielsweise Musik wieder ins Spiel kommen, wenn es um das Ausleben unterdrückter Gefühle gilt.

    Gruß Jan

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  6. @Gilbert: Stressabbau durch Literatur ist tatsächlich etwas sehr Individuelles. Denn bei Cormac McCarthy (No Country for old Men) kann ich beim besten Willen keinen Stress abbauen. Ich für meinen Teil bevorzuge zum Entspannen dicke Wälzer. 'Der Zauberberg' zum Beispiel. Schon die Länge des Buches verspricht Ruhe...
    @Jan: Vielen Dank für diese Anmerkung! Das halte ich für einen wichtigen Punkt. Innere Konflikte fressen einen auf, wenn man nichts gegen sie unternimmt. Tatsächlich lassen sich gegen äußere Faktoren Abschirmungsmechanismen entwickeln. Ist man dagegen mit sich selbst nicht im Reinen, dann hilf das alles nichts. Oftmals kumulieren innere und äußere Konflikte bis zur totalen Auszehrung.

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  7. Ich denke, es sind nur innere Konflikte, die Stress verursachen. Es ist das Innen, das mit dem Außen nicht zurecht kommt. Die Frage ist, muss ich mich dem Außen anpassen, oder passe ich das Außen meinem Inneren an? Es ist eine Herausforderung, mit Konflikten zu wachsen - es kommt wohl auf die Ausgewogenheit an, wieviel Reibung man braucht oder wo grad Wachstum angesagt ist bzw. von welchen Vorstellungen/Dingen/Gedankenmustern man sich verabschieden kann.

    Mein Tipp ist: Nicht alles so ernst nehmen. Deshalb mag ich persönlich auch das Meditieren, denn ich kann mir selbst dabei zusehen, was ich alles so an "Hausgemachtem" in mir produziere. Ich denke dabei immer an ein Gedicht, von dem ich nur noch das Ende kann: "...sich selbst nicht so ernst nehmen - ist es wirklich so wichtig, das bisschen Leben?"

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  8. Ich freue mich über die Tipps und die Hinweise. Ich will auch Burnout nicht verharmlosen, sondern eher mein Rezept vorstellen, wie ich mir vorstellen kann, dem vorzubeugen. Ob es dann klappt, hängt vor allem davon ab, wie sehr das "Außen" auf mein "Innen" einwirkt. Beispiel Gewalt oder Aggression in der Kommunikation: Da kann man noch so ausgeglichen und mit sich im Reinen sein, irgendwann greift es einen an. Eine weitere Diskussion wäre, ob man "innen" und "außen" überhaupt so trennen kann. Ich bin da skeptisch.

    Dinge nicht so ernst nehmen ist auch eine meiner liebsten Techniken! Und es ist ja auch so: Um was geht es denn in den meisten Fällen? Das irgendwer noch reicher wird? Ich bin kein Herzchirurg. Das beste, das ich tun kann, ist meinem Gewissen gemäß handeln. Alles andere ist eigentlich nicht so wichtig. Manchmal sogar eher lustig. Deswegen liebe ich auch Woody Allen und Larry David. Die haben genau diese Perspektive, dass die meisten Dinge, mit denen wir uns beschäftigen, ziemlich lächerlich sind. Das (und der Humor) hilft.

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