1. August 2025

Angst und autoritäre Persönlichkeit

Warum wir Grausamkeit wählen

Wenn die Herabsetzung anderer wichtiger ist, als gute Politik und die eigene Lebensqualität 

Immer wieder kratze ich mir am Kopf, weil ich nicht verstehe, wieso so viele Menschen solchen clownesken Autokraten und Möchtegerndiktatoren wie Orban, Le Pen oder Trump hinterher laufen oder warum sie Parteien wie die AfD wählen, die durch grausame Sprache auffallen, immer nur andere herabwürdigen und in alle Richtungen bittere Galle versprühen. Das ist doch höchst unattraktiv! Wenn man dann noch beobachtet, dass die eigentliche Politik dieser Autokraten den Unterstützern eher noch schadet (siehe Abschaffung von Sozialleistungen und das Ruinieren der Wirtschaft etc.), dann bin ich komplett ratlos.

Da diesem Phänomen mit philosophischen und politischen Analysen schon gar nicht beizukommen ist, wird es Zeit für ein bisschen Psychologie und Soziologie. Ganz knapp zusammengefasst: die tragisch-grausamen Clowns werden nicht trotz, sondern wegen ihrer Grausamkeit gewählt. Aber warum wählen wir Grausamkeit überhaupt?

 
Was die Wähler sehen wollen: "Illegal aliens are returned to Ecuador" (DoD, Public Domain*)

Die Psychologie des Autoritarismus

Eine aktuelle Spur hat Zygmunt Bauman 2006 mit dem Buch und Begriff "Liquid Fear" gelegt, mit dem er beschreibt, wie wir mit ständig präsenten Ängsten vor vermeintlich bevorstehenden und unklaren Gefahren in einem Zustand permanenter Verunsicherung leben. Das macht uns angreifbar für Verführungen. Lange zuvor haben sich bereits Geistesgrößen wie Freud, Erich Fromm in den 1930er-Jahren und Adorno (1950) mit autoritären Neigungen von Menschen auseinandergesetzt. In der von Adorno betreuten Untersuchung Authoritarian Personality werden beispielsweise Grundzüge der autoritären Persönlichkeit wie starres Festhalten an Konventionen, Macht­orientierung und Unterwürfigkeit, Destruktivität und Zynismus beschrieben. Wer "Der Untertan" von Heinrich Mann (1918) gelesen hat, kann das auch literarisch einordnen. 

Adornos Ziel damals war es, die psychologischen Voraussetzungen für Faschismus zu identifizieren – ein Ziel, das an Aktualität wieder hinzugewonnen hat. Eine sehr aktuelle und populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich bei Russell Razzaque gefunden. Als Psychiater hat er u.a. gefragt, warum nicht der politische Wille zum Sieg oder zur Machtausübung im Zentrum solcher politischen Bewegungen wie MAGA steht, sondern eine regelrechte Lust an der Grausamkeit gegenüber denen, die nicht dazu gehören. Den politischen Protagonisten und ihren Gefolgsleuten in der Bevölkerung geht es in ihrer martialischen Sprache und herabsetzenden Bildern (wenn z.B. Immigranten in Ketten gelegt und deportiert werden), nicht nur um Abschreckung, sondern um gezielte Demütigung. Wer könnte sich denn daran erfreuen? Idioten, würde ich im Affekt antworten. Aber es ist wohl komplizierter.

Was treibt Menschen an, Grausamkeit nicht nur als politisch notwendig zu akzeptieren, was schon schlimm genug wäre, sondern sie regelrecht zu genießen?

Viele Anhänger solcher Bewegungen haben eine sogenannte autoritäre Persönlichkeit und zeigen in bestimmten Momenten autoritäre Reaktionen. Wir alle haben autoritäre Persönlichkeitsmerkmale, einige mehr und andere weniger. Die jenigen, bei denen diese Dimension der Persönlichkeit stärker ausgeprägt ist, suchen schnell nach klaren Hierarchien, nach starken Führern und nach strikter Ordnung – insbesondere in unsicheren Zeiten. Diese extrem autoritäre Haltung ist keine konstante Eigenschaft, sondern wird durch bestimmte Umstände aktiviert, insbesondere durch Angst.

Trump beispielsweise ist ein intuitiver Meister darin, unnötige Ängste zu schüren. Schon zu Beginn seiner politischen Karriere verbreitete er Angst vor Migranten und malte ein Bild von einem zerfallenden Amerika. Dabei wird auch vor offensichtlichen und leicht zu widerlegenden Lügen ("sie essen eure Haustiere") nicht zurück geschreckt. Die Great Replacement Conspiracy, der zufolge die Mehrheitsbevölkerungen in westlichen Staaten durch Nichtweiße und Muslime ersetzt werden, bringt die diffuse Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit und letztlich dem eigenen Verschwinden auf den Punkt. Medien wie Fox News oder Compact tragen aktiv und sicherlich nicht naiv, sondern gezielt dazu bei, diese Bedrohungsszenarien aufrechtzuerhalten. Die ständig vermittelte Angst aktiviert dann als klassisches autoritäres Reaktionsmuster bei vielen Menschen dieses Bedürfnis nach starker Führung.

Statusverlust als kulturell-soziale Angst

Interessanterweise fürchten sich die Anhänger rechter autoritärer Bewegungen nicht primär vor Armut oder Kriminalität, auch wenn das oft behauptet wird. Studien zeigen, dass sie wirtschaftlich oft nicht schlechter dastehen als der Durchschnitt. Ihre zentrale Angst ist eine kulturelle und soziale Angst: die Angst vor Statusverlust.

Besonders betroffen davon sind weiße Männer, die lange Zeit eine dominierende gesellschaftliche Stellung innehatten. Diese Gruppe fühlt sich bedroht durch die Emanzipation von Frauen, den gesellschaftlichen Aufstieg von Minderheiten und Migranten sowie durch kulturellen und sprachlichen Wandel. Es geht nicht um objektive Benachteiligung, sondern um eine relative Statusangst – das Gefühl, dass "die anderen" aufholen und man selbst an Bedeutung verliert. 

Nicht Lebensqualität, sondern Rückkehr zur Dominanz

Slogans wie "Make America Great Again" (Trump), "Hol Dir Dein Land zurück!" (AfD) oder "Remettre la France en ordre" (Rassemblement National) wird in diesem Zusammenhang als Versprechen auf die Wiederherstellung vergangener Dominanz verstanden. Es geht nicht darum, die Lebensqualität für alle zu verbessern, sondern darum, die eigene relative Überlegenheit wiederherzustellen – auf Kosten anderer. Wenn Minderheiten, Frauen oder queere Menschen aufsteigen, empfinden das viele in diesen Bewegungen als Bedrohung. Deshalb zielen viele politische Ambitionen nicht darauf ab, das Leben der eigenen Anhänger zu verbessern, sondern darauf, die herabzusetzen, die nicht zu den eigenen Anhängern zählen.

In diesem Licht erscheinen viele Entscheidungen z. B. die Trennung von Migrantenfamilien, die Deportation in Drittstaaten oder die brutale Rhetorik gegenüber bestimmten Gruppen nicht als Nebeneffekt, sondern als Ziel an sich: Grausamkeit wird inszeniert, um Wohlgefühl in der eigenen Anhängerschaft zu erzeugen. Das erklärt, warum viele Unterstützer rechter Populisten nicht primär für bestimmte Inhalte applaudieren, sondern für Demütigung und Bestrafung der als Bedrohung wahrgenommenen Gruppen. 

Ressentiment oder privilegierte Opfer

Diese Haltung ist tief im Ressentiment verwurzelt – ein Gefühl der anhaltenden Kränkung, des Hasses auf diejenigen, die vermeintlich den eigenen Platz einnehmen. Der Psychiater Razzaque beschreibt dies als ein inneres Brennen, eine Wut, die nicht vergehen will und ständig neue Nahrung sucht: Diese Menschen "marinieren" regelrecht in ihrem Ressentiment. Der Extremfall dieser Haltung sei z. B. Stephen Miller, der langjährige Trump-Berater, der laut Zeugen vor allem durch seine Wut auf Migranten und seinen Hang zur Grausamkeit aufgefallen sei – nicht durch Intellekt.

Dazu passt die eigene Identifikation als Opfer. Das geht soweit, dass sich viele MAGA-Anhänger selbst angegriffen fühlen, wenn Trump wegen seiner persönlichen Vergehen (z.B. sexuelle Übergriffe auf Frauen) rechtmäßig verurteilt wird. Für die Anhänger ist Trump mehr als ein Politiker – er ist eine Projektionsfigur für ihre eigene Kränkung. Wenn Trump also "verfolgt" wird, dann erleben sie das als Beweis dafür, dass auch sie unterdrückt werden. Das erklärt, warum seine Unterstützung sogar nach Verurteilungen wächst: Sie verstärken die gefühlte Opfergemeinschaft. 

Demokratie als Kollateralschaden

Für viele Anhänger dieser Art von Nationalpopulismus ist der Erhalt der Demokratie nachrangig. Entscheidend ist die Wiederherstellung ihrer früheren, zum Teil auch nur imaginierten Dominanz. Wenn dafür demokratische Prozesse geopfert werden müssen, ist das für viele ein akzeptabler Preis. 

Diese tiefen, psychologischen Vorgänge machen diese Bewegungen zu einer ernsthaften Bedrohung für die Demokratie. Es reicht nicht aus, die Anhänger autoritärer Bestrebungen als "böse" oder "dumm" abzutun. Vielmehr müssen wir verstehen, woher ihre Ängste, Kränkungen und Reaktionen kommen. Nur so können wir ein demokratisches Gegenmodell zu denen aufbauen, die unsere niedernen Instinke ausnutzen.

Eine vertiefte, beteiligungsorientierte Demokratie, in der Bürger nicht nur alle vier Jahre abstimmen, sondern kontinuierlich in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, so meint beispielsweise Razzaque, könnte solche gekränkten Menschen, die sich abgehängt fühlen, wieder in die Demokratie zurück holen.


 *Disclaimer: The appearance of U.S. Department of Defense (DoD) visual information does not imply or constitute DoD endorsement.

Das passt dazu:

5 Kommentare:

  1. Danke für diese überaus kluge Analyse. Ich kann diese in allen Punkten nachvollziehen. Die Frage wäre nun: Wie schaffen wir es, unsere derzeitige Politik so zu verändern, dass Menschen in Entscheidungsprozesse eingebunden sind?

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  2. "Ein Vorteil, den die Unterdrückung den Unterdrückern verschafft, besteht darin, dass noch der geringste von ihnen sich überlegen fühlt. ein "armer Weißer" im Süden der USA kann sich damit trösten, dass er kein 'dreckiger Neger' ist, und die wohlhabenden Weißen beuten diesen Dünkel geschickt aus." (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht)

    Das Prinzip ist, auch lange vor Razzaque undd Beauvoir, längst durchschaut (s. bspw. Schopenhauer über den "Nationalstolz"). Müssen wir wirklich die "Dummen" und "Bösen" zu verstehen versuchen? Warum? Im Artikel diagnostiziert Razzaque Minderwertigkeitskomplexe als Grund für faschistoide Tendenzen, in der Konklusio stößt er die Lösung "Mehr demokratische Beteiligung" an; Diagnose und Lösungsvorschlag haben aber nicht nur nichts miteinander zu tun, sondern letzterer könnte geradezu gefährlich unter unveränderten Bedingungen sein: Würde die direkte, umfassende Einbindung von "gekränkten, abgehängten" Menschen unter sonst gleichen Bedingungen nicht umgekehrt zu einer schnelleren Selbstdemontage der Demokratie führen? Warum sollte so ein Mensch nur durch Machtbeteiligung Empathie und Achtung für andere entwickeln? Warum sollte er sich dann weniger leicht manipulieren lassen?

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    1. Danke für diese Ergänzungen, das mit Schopenhauer ist ein wichtiger Hinweis. Ein ohnehin immer noch unterschätzter oder sogar gering geschätzter Philosoph, dem ich in seinen Anknüpfungspunkten an unsere derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen einen eigenen Artikel widmen sollte.

      Und zu der Frage des Verstänsnisses und dann der Beteiligung der "Dummen und Bösen": Erstens ist Verstehen nicht Aneignen und auch nicht Vergeben und zweitens sehe ich als philosophisch denkender Mensch das Verstehen immer als eine Vorraussetzung für alles folgende (Beurteilen, Verurteilen, Handeln, Bestrafen etc.). Das ist nicht abhängig davon, ob mein Gegenüber "klug", "dumm", ein fühlendes Wesen oder nur ein nicht bewusstes Sein wie ein Stein ist. M.a.W. das ist für mich gesetzt, Dogma.

      Ob und warum Beteiligung zu Mitgefühl führen wird? Das kann nicht in jedem Fall positiv beschieden werden, denke ich. Aber umgekehrt wird es kein Verantwortungs- und Mitgefühl bei denen geben, die von demokratischen Prozessen ausgeschlossen und dauerhaft gekränkt werden.

      In Gesellschaftlicher Fortschritt und Überforderung habe ich versucht, eine Antwort auf die Frage zu geben:

      Ja, aber sorry... wenn da einer offen frauenfeindlich, homophob oder rassistisch ist, dann muss ich ja dafür wohl kein Verständis haben, oder?

      Am Ende steht die Gegenfrage: "Sollen wir denn einfach Akzeptieren, dass sich Bevölkerungsgruppen dauerhaft unverständlich und misstrauisch gegenüber stehen?" Das scheint mir auch kein praktikabler Ansatz zu sein. Ich will nicht naiv behaupten, dass Unverständniss und Misstrauen komplett beseitigt werden könnten. Zu solchem Optimismus gibt auch die Geschichte kaum Anlass. Aber wir sollten bitte progressiv weiterwirken und sukkzessive daran arbeiten, diese Menschheit zu bessern.

      Gegenmeinungen?

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    2. Zum Verstehen der Gegenseite: Klar, mit dem Verstehenwollen an sich vergibt man sich nichts. Die Frage ist nur, wie viel Verständnis denn angebracht ist und letztlich auch nützt. Was nützt es, die Beweggründe eines "bösen" Menschen in Selbstsucht, "autoritärem Charakter" oder sonstwelchen psychologischen Deuteleien verorten zu können? Bisher scheint aus solchen - niemals unwidersprochenen - Theorien zumindest keine praktikable Lösung erwachsen zu sein. "Sollen wir denn einfach akzeptieren, dass sich Bevölkerungsgruppen dauerhaft unverständlich und misstrauisch gegenüber stehen?" Vielleicht; ab einer gewissen Grenze der Ignoranz, die bspw. im MAGA-Lager längst überschritten ist, gibt es für mich keine Diskussionsgrundlage mehr. Denn Diskurs fußt, wie du weißt, auf Vernunft, auf einer gemeinsamen rational nachvollziehbaren Plattform. Wenn aber nicht mehr mit vernünftig nachvollziehbaren Argumenten, sondern Bauchwahrheiten, Lügen und Verschwörungstheorien geantwortet wird: Kann es da die Bringschuld der Vernünftigen sein, die Gegenseitige - zu 99 % ergebnislos - auf ihre Denkfehler hinzuweisen?

      Zu Empathie durch Beteiligung: Die Leute sind ja momentan nicht vom demokratischen Prozess ausgeschlossen, zumindest nicht mehr als all die Bürger, die keine rechtsextremen Parteien wählen. Warum gerade hier der Schlüssel zu mehr politischer Empathie liegen sollte, verstehe ich noch nicht ganz.

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    3. Ja, gute Punkte, auf die ich gar nicht so richtig überzeugend antworten will, weil meine Vorbehalte ganz genauso liegen, wie in dem Kommentar beschrieben. Vielleicht zum letzten Punkt zuerst:

      Ich denke schon, dass Menschen, die irgendwie marginalisiert sind, z.B. bildungspolitisch, medial, ökonomisch etc. von demokratischen Prozessen stärker ausgeschlossen sind, als der Durchschnitt. Auch hier gibt es kein klares Verhältnis von Hol- und Bringschuld. Dennoch ist hier Potenzial nach oben, das nicht so ohne weiteres von diesen betroffenen Menschen gehoben werden kann.

      Das andere Thema sehe ich mit Schmerzen genauso, wie oben beschrieben... Es kann einerseits nicht die Bringschuld der "vernünftig" argumentierenden Menschen sein, immer Verständnis für "Unvernünftiges" zu zeigen (die Anführungszeichen nur deshalb, weil mir bewusst ist, wie verkürzt dieses Wort "Vernunft" das hier erforderliche andeuten kann). Andererseits ist es dann eben wie auf dem Schulhof: die Bullies werden sich immer durchsetzen, wenn wir sie nicht "zu besseren Menschen" machen. Diesen Versuch sollten wir nie abbrechen und die Gründe für Unvernunft zu kennen, könnte helfen, gegen zu steuern. Es gibt ja bereits alle möglichen Anleitungen, wie man mit z.B. Verschwörungstheoretikern reden sollte und wie nicht, um Licht ins Denkgebüsch zu kriegen (siehe z.B. Zorn: Mit Rechten reden: Ein Leitfaden).

      Viele dieser Menschen sind nicht "in bad faith" unvernünftig, weil sie es eben sein wollen, wie z.B. J.D. Vance. Viele irren sich einfach und hier kann Verständnis helfen. Bei den "bösen" Menschen wird es nichts bringen. Sie haben "vernünftige" Motive für ihre "Unvernunft", die sie nicht einfach aufgeben werden.

      Ob das jemals geholfen hat? In großem Stil beim hier diskutierten Problem sicher nicht. Wenn es beim hier diskutierten Problem in vielen Einzelfällen hilft, sollten wir das weiter verfolgen. Das wäre auch irgendwie ein Ansatz von Philsosophie als ein Bildungsweg zu einer Weisheit von Bürgern.

      (Wenn man die Aufklärung als solch ein sehr langfristiges und generelles Bestreben begreifen wollte, könnte man durchaus zeigen, dass popularisierte Vernunft hilft, unvernünftiges Denken, Glauben, Streiten in der Bevölkerung zu beseitigen. Nicht zuletzt leiden wir ja gerade heute unter einer neuen oft gezielt lancierten Unvernunft.)

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