29. Januar 2015

Die Sinnlosigkeit des Lebens

Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen

Seit der erste Mensch seine Augen zum Sternenhimmel aufgerichtet hat, fragen wir uns nach dem Sinn des Ganzen. Auf diese Frage wurden immer wieder verschiedene Antworten gefunden, zumeist magische und religiöse Antworten. Bis einige vom Glauben abgefallene Philosophen auf die naheliegendste Antwort kamen: "Es gibt keinen Sinn." Diese Antwort ist erst mal erschreckend und kommt kurz vor der Erkenntnis, dass es ein absurder Zufall ist, dass - um es mit Heidegger zu sagen - überhaupt irgend etwas ist und nicht vielmehr nichts (Teilchenphysiker mögen hier gern widersprechen).

Der glückliche Mensch: Ausschnitt von Franz Von Stucks Sisyphus (1920, gemeinfrei)


Die Tat als Auflehnung und Eingeständnis

Man könnte also sagen, es sei besser, Sinn zu schaffen, anstatt ihn zu suchen. Aber auch da gibt es Zweifel, zum Beispiel bei Albert Camus, dem die Sinnlosigkeit das ganze Leben zu transzendieren schien. Das Absurde ist bei Camus nicht nur eine unumgehbare und unbewegliche Tatsache, sondern ein Stein den wir unser Leben lang immer wieder den Berg hinaufrollen müssen. In dieser Auflehnung gegen die absurde Zumutung, die das am Ende hoffnungslose Leben ist, besteht die einzige Möglichkeit der Würde. Der Stein des Sisyphos steht für die konkrete Tat, die der Mensch gegen die Schwerkraft des Sinnlosen in Anschlag bringt: Trotzdem leben, trotzdem selbstbestimmt handeln. Die Tat ist gleichzeitig Auflehnung gegen das Absurde und Eingeständnis aller Sinnlosigkeit dessen, was über sie selbst hinausgeht.

20. Januar 2015

Verknallt: Liebe auf den ersten Blick

Was steckt hinter dem irren Gefühl des Verknalltseins?

Als ich in den achtziger Jahren aufwuchs, wurden nach den Suchmeldungen zu Kriegsvermissten im Radio immer auch Höhrerbriefe, wie dieser vorgelesen: "Ich habe dich am 21. Dezember im Bus mit der Nummer 50 gesehen. Du hattest eine gelbe Jacke, blaue Hose und einen roten Beutel. Ich hatte eine schwarze Hose und eine graue Jacke an. Wir haben uns kurz angelächelt und dann bist du an der Rathausstraße ausgestiegen. Bitte melde dich, ich muss dich wiedersehen."


Bitte melde dich, ich muss dich wiedersehen (eigenes Foto)

Ich fand das immer bizarr, irgendwie traurig und doch so nachvollziehbar. Wem ist das noch nicht passiert: Man sieht in der Bahn, dem Bus oder dem Supermarkt einen anderen Menschen und findet ihn unheimlich anziehend, ja schlimmer noch: Man denkt, dass man sich auf der Stelle verliebt habe, von seinem derzeitigen Leben davon rennen müsste und den zweiten Teil des Lebens mit dieser einem völlig unbekannten Person verbringen möchte. Ist diese Person, so fragen wir uns in diesem Moment, mit ihren sanften Augen, den Lachfältchen, dem sinnlichen Mund und der neugierigen Nase, ist sie nicht der Mensch, auf den wir unser Leben lang gewartet haben? Diesem Menschen sehen wir an, dass er das Verständnis für uns, so wie wir sind, mitbringt, den Sanftmut, den wir in dieser harten Welt so dringend nötig haben und die Schönheit, die wir verdienen. Ohne, dass wir nur ein Wort mit ihr gewechselt hätten, kennen wir diese Person in und auswendig, lassen wir uns jedenfalls vorgaukeln.

20. Dezember 2014

Was sexuelle Neigungen über uns verraten

Was bedeuten die Dinge, die uns wirklich anmachen?

Klar leben wir hier im Westen in sexuell befreiten Zeiten. Wir dürfen unsere Verlangen nicht nur ausleben, wir sollen sogar. Das geht Hand in Hand mit Leistungsfähigkeit im Beruf, mit Konsum und der Demographie unserer Gesellschaften. Aber was ist mit den Dingen, die uns wirklich richtig anmachen?

Bildausschnitt aus einem einschlägigen Internetforum von mir bearbeitet (Urheber unbekannt)

Über unsere sogenannten perversen Fantasien, unsere Fetische, geheimen Wünsche und Gedanken reden wir nicht, meistens nicht mal mit unseren Partnern. Das liegt daran, dass diese Gedanken mitunter sehr abgründig, vielleicht sogar verachtend und politisch ganz und gar unkorrekt sein können. Wir fürchten vielleicht die Reaktion des anderen darauf, vermuten sogar, dass irgend etwas mit uns selbst nicht stimmt oder haben sehr früh ziemlich strikte Schamgrenzen kennen gelernt und übernommen. Wir gehen damit das Risiko ein, uns selbst zu stigmatisieren oder den Zugang zu wichtigen verborgenen - keinesfalls nur sexuellen - Wünschen in uns zu verlieren. Wenn wir überlegen, was unsere Fetische eigentlich bedeuten, kann es uns gelingen, ein besseres Verhältnis zu ihnen und damit zu einem bedeutenden Teil unserer selbst zu etablieren. Schon mit dem Wort Fetisch wird die Stellvertreterfunktion unserer sexuellen Obsessionen deutlich: Ein Fetisch ist etwas "unechtes", das wir anstatt des unsichtbaren "Echten" verehren.

17. Dezember 2014

Willst du eine romantische Disney-Fantasie leben?

Wir Unglücklichen wissen das Unglück nicht zu schätzen



Ich bin ein großer Fan von Comedy, besonders wenn sie tragisch ist. Guter Humor hat immer eine philosophische Dimension und konfrontiert uns mit uns selbst und unseren absurden Hoffnungen, unseren dummen Überzeugungen und peinlichen Schwächen. Kein Komiker macht das im Moment so gut wie Louis C.K. aus New York mit seiner Figur Louie. Er macht das so gut, dass es oft schwer ist, seine Show noch lustig zu finden.

Perlen vor die Säue: Verschwende dein Unglück nicht!

Zuletzt sah ich die zehnte Folge aus der vierten Staffel, in der es um seine verlorene Liebe geht - eine Frau, die nach einem romantischen Intermezzo von New York zurück nach Ungarn ging. Natürlich war Louie extrem traurig, er bemitleidet sich selbst und sucht Trost oder Rat beim abgeklärten Dr. Bigelow und dessen dreibeinigen Hund (den der Doktor übrigens für den glücklichsten Hund der Welt hält). Louie sagt, dass er zu traurig ist, dass es diese kurze Liebe nicht wert war, wenn sie nur hierhin in diese Trauer geführt hat. Hier ist Dr. Bigelows Antwort von mir ins Deutsche übersetzt:
Die Unglücklichen wissen das Unglück nicht zu schätzen... Du bist ein Vollidiot. Denkst du, es ging darum, Zeit mit ihr zu verbringen, sie zu küssen, Spaß zu haben? Du denkst, das war der Sinn des Ganzen? Du meinst, das sei die Liebe? Nein, DAS HIER ist Liebe: sie zu vermissen, sterben wollen, weil sie verschwunden ist. Du bist so ein Glückspilz, ein umherlaufendes Gedicht. Wärst du lieber irgendeine Art von Fantasie, so ein Disney-Märchen? Willst du das? Verstehst du nicht, dass DAS HIER der beste Moment deines Lebens ist. Das ist, wonach du die ganze Zeit gesucht hast. Nun hältst du es endlich in der Hand, diesen kleinen Diamanten der Liebe, süß und traurig und nun willst du es wegschmeißen? Du hast gar nichts verstanden! [...] Schlimm ist es erst, wenn du sie vergisst, wenn sie dir egal wird, wenn dir alles egal wird. Das kommst noch früh genug, also genieße dein gebrochenes Herz, so lange du noch kannst, verdammt noch mal... Kannst du mal bitte die Hundescheiße aufsammeln? Du verdammter Glückspilz...
Mehr muss man dazu eigentlich gar nicht sagen. Es passt wie die Faust aufs Auge unserer überzogenen Erwartungshaltung ans Leben als Glücksspender. Das Leben ist alles andere als Disney-Romantik und wer als umherlaufendes Gedicht Leid und Trauer kennt, ist ein Glückspilz. Es geht dann nur noch darum, das zu erkennen.



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14. Dezember 2014

Bist du ein Segmentor oder ein Integrator?

Warum Work-Life-Balance für die meisten von uns so schwer ist

Mein ehemaliger Arbeitgeber fasziniert mich immer wieder, besonders auch in dem Feld, das dort People Operations (gemeinhin: HR) genannt wird. Das Google People Operations Team hat eine auf 100 Jahre angelegte Langzeitstudie begonnen, die nach wissenschaftlichen Standards die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Arbeit untersucht und dabei Aspekte wie anhaltende Zufriedenheit und Kommunikation oder die Balance zwischen Arbeit und Freizeit untersucht. Zum Beispiel fand das Team heraus, dass die Mitarbeiter, zu deren regelmäßigen Gewohnheiten es gehört, Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken, langfristig und signifikant zufriedener mit ihrer Arbeit sind. Das überrascht nicht, denn dieser Zusammenhang ist schon aus anderen Lebensbereichen bekannt.

Schwer zu sagen, wo Arbeit aufhört und Freizeit anfängt (Bildlizenz: CC0 Public Domain)

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