28. September 2014

So viel Urlaub, wie du nur kannst

Von den Tücken zunehmender Freiheit bei der Arbeit

A: Wie fühlt es sich an, so frisch zurück aus dem Urlaub?
B: Komisch... Ich weiß nicht, was im Büro los ist, wichtige Projekte laufen ohne mich und alle Kollegen sind sauer, weil ich ihre E-Mails nicht beantwortet habe.
A: Klingt ja genau wie vor dem Urlaub!
B: Ja, nur dass ich jetzt weniger Urlaub habe.

Ein Witz aus alten Zeiten. Aber langsam nehmen wir Fahrt auf: Immer mehr internationale Firmen, aber auch kleinere Start-Ups und IT-Firmen in Deutschland gehen kulturell voran, demokratisieren ihre Betriebe und definieren nebenher den mündigen Mitarbeiter neu. Eine ganz frische Idee: Der Arbeitnehmer bestimmt selbst, wie viel Urlaub er machen möchte... beziehungsweise machen kann. Das wäre ein großer Schritt weg von der Bevormundung, die viele Arbeitgeber - selbst im Umfeld der Knowledge Work - heute noch für nötig halten.

Arbeit oder Urlaub? (Bild von David Reid via CC)

Wie ich immer wieder sage: Ich glaube prinzipiell daran, dass Menschen souverän und eigenverantwortlich handeln sollen. Leider konterkarieren viele Prozesse in den meisten Firmen das total. Anstatt die Mitarbeiter wie Erwachsene zu behandeln, werden sie kontrolliert, gegängelt und gemaßregelt. [...] Jeder kann ein Auto kaufen, Kinder erziehen und wählen gehen, aber niemandem trauen wir zu, eigenverantwortlich zu entscheiden, wann sie ihre Aufgaben erledigen können und wie viel Zeit sie dazu benötigen (siehe das Interview Philosophie und Führungsverantwortung, 29.06.2013).

19. September 2014

Mag ich, mag ich nicht - Freiheit trotz Facebook!

Wie unfrei und unglücklich macht uns das soziale Netzwerk?

Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu Facebook. Ich mag es, um dort Neues und Links zu interessanten Artikeln zu entdecken (obwohl sich Twitter und Google Plus viel besser dazu eignen) und ich mag es um selbst Neues aus meinem Blog zu posten. Für Geist und Gegenwart nutze ich Facebook sehr aktiv, mein privates Konto habe ich allerdings stillgelegt. Privat mag ich Facebook gar nicht. Warum? Ein Aha-Moment war für mich, als ich eines Tages auf das Profil einer ehemaligen Kollegin stieß. Ich sah mir an, was sie in den letzten Wochen dort hinterlassen hatte und es war alles toll, bunt und gute Laune. Man sah sie beim Ski-Fahren, in Restaurants, mit Freundinnen, Babys und Katzen und man musste den Eindruck haben, sie habe das beste Leben, das man sich vorstellen kann. Auf der anderen Seite kenne ich ihr "wahres" Leben und weiß, dass es schwierig ist, so wie das Leben der meisten Menschen. Dieses Schwierige hat aber auf Facebook keinen Platz. Ist ja auch klar, man will schließlich Positives zeigen, Urlaubsbilder und so weiter. Was aber macht das mit jemandem, der sich das anschaut? Ich sehe die ganzen Profile von Bekannten, die alle ein sorgenfreies Leben voller Spaß und Freude spiegeln und im Vergleich dazu sieht mein Leben mit Stress auf der Arbeit, mit Problemen in der Beziehung, vielleicht Krankheit und materiellem Verzicht ganz mies aus.



14. September 2014

Der Geist als hervorragender Diener...

...und furchtbarer Herrscher

"Alles um mich herum, so wie ich es wahrnehme,
stützt meinen tief verwurzelten Glauben, dass
ich das Zentrum dieses Universums bin,
die wahrhaftigste, lebendigste und
wichtigste Person, die existiert."
David Foster Wallace

David Foster Wallace war einer der großen einflussreichen Intellektuellen und Schriftsteller der modernen USA. Im September 2008 nahm er sich das Leben, eine schwere Depression, gegen die er zwanzig Jahre kämpfte, hatte ihn in die Knie gezwungen. Drei Jahre zuvor hielt er vor den Absolventen des Kenyon Colleges eine Rede, die inzwischen als eine Anstiftung zum Denken berühmt geworden und als Buch verlegt worden ist. Ich las diese Rede zum ersten Mal vor drei Jahren. In diesem Artikel versuche ich Wallace' Kerngedanken herauszustellen, weil sie mich nicht loslassen und ich immer wieder spüre, wie wichtig sie für mein persönliches Leben, in Zeiten der Krisen, in denen ich mit mir und meinen Mitmenschen hadere, geworden sind.


David Foster Wallace von Steve Rhodes (CC BY 2.0)

In seiner Rede vor den Studenten meint Wallace, wir würden das so zwar nicht sagen, aber tief in uns drin, sind wir von Geburt an so gepolt, dieser Ego-Illusion zu unterliegen. Alles, was in unserem Leben passiert, sagt uns, dass sich die Welt um uns herum dreht. Und die Tatsache, dass unsere eigene Gedanken uns unmittelbar zugänglich sind, während die Gedanken der anderen umständlich und mit Informationsverlust kommuniziert werden müssen, scheint uns zu zeigen, dass wir wirklich und im höchsten Grad existieren, während andere zwar auch da zu sein scheinen, aber in einer Existenz zweiten Grades, die wir nur vermittelt wahrnehmen können.

6. September 2014

Meine Reizbarkeit und Versöhnung mit der Welt

Eine etwas gereizte Untersuchung zur Aussöhnung mit der Wirklichkeit


Ich weiß nicht, ob Sie das von sich selbst kennen oder jemanden kennen, bei dem das so ist: Man schläft zu leicht, wacht schnell auf, ist enorm gestört durch die trampelnden Nachbarn über einem oder durch die Obstfliegen, die in den letzten noch einmal erwärmten Tagen vom Pflaumenbaum im Garten ihren Weg in die Küche finden. Manchmal nerven mich sogar die Vögel, wenn sie im Garten zetern. Jeder ist anders reizbar. Ich kann auch das Knistern von Plastiktüten nicht ertragen. Und elektrische Geräte wie Staubsauger oder - meine größten Feinde - die mit Benzin betriebenen Laubblasturbinen, die sich jetzt Hinz und Kunz für ihre Gärten kaufen. Weil Laub etwas Furchbares ist, das muss entfernt werden! Und ein Harke oder ein Rechen - das geht ja gar nicht. Den Arm hin und her bewegen, um Blätter in einen Haufen zu schieben ist eine unmoderne Unzumutbarkeit. Lieber setzt man sich Ohrenschützer auf und geht mit schwerem Gerät und ohrenbetäubendem Lärm gegen die gefallenen luftleichten Blätter vor. So haben auch alle Nachbarn etwas davon. Neulich war ich in den Masuren, genoss sie menschenleere Stille, als plötzlich eine Horde Verrückter auf Jet-Skis durch den davor so ruhigen See pflügten. So etwas macht mich wütend... Ich schweife ab.

Auch eine Art, sich mit der Welt zu versöhnen (Bild von Craig Sunter via Flickr CC)

Unsere Empfindlichkeit kann so weit gehen, dass wir unser Zuhause, unseren Urlaub, ja unsere ganze Umwelt und unsere Mitmenschen nicht mehr genießen können, sondern in ihrer Wahrnehmung einen störenden Reiz nach dem nächsten identifizieren. Es gibt dann keine Toleranz gegenüber "dem anderen" mehr. Jegliche "Störung" wird einem anderen Schuldigen angelastet, anstatt sich zu fragen, ob das überhaupt eine Störung ist oder ob es nicht einfach mit zum Leben gehört, Reizen und Einflüssen der Welt ausgesetzt zu sein.

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