21. März 2014

Das Leben üben: Mir fallen ständig die Maschen von den Nadeln

Katrin Hentschel strickt
Zum Menschsein gehörte schon immer das lebenslange Üben. Und wenn es nur das Üben in Geduld ist. Verlernen wir jetzt das Üben, weil alles im Leben so unerträglich leicht geworden ist? Katrin Hentschel schildert uns heute, was man vom Stricken, vom Malen, von der Kunsttherapie und vor allem von den Kindern lernen kann, um das Leben zu üben...

Voll verstrickt: ein Prozess zum Lernen

Ein Montagabend auf meinem Sofa: Ich halte alle 5 Nadeln in der Hand, bin hoch konzentriert und darauf bedacht, dass alle Maschen, die ich für meine gestrickten Socken benötige auf der fünften Nadel bleiben. Ich spüre, wie sich meine Muskeln anspannen und meine beiden Augen auf die Hände gerichtet sind. Ganz langsam versuche ich das Stück Wolle abzuheben: mein Atem bleibt kurz stehen, wird dann flacher und Schwupps fällt die Masche herunter. Ich lerne gerade Stricken und bin der Meinung, dass wir gerade in solchen alltäglichen Augenblicken in höchstem Maße etwas an Frustrationstoleranz, Gelassenheit und Selbstvertrauen dazu lernen.

Alles muss bitte nach Plan laufen

Werfen wir einen Blick in das moderne Leben, dann sehen wir, dass uns die Technik vieles erleichtert. Wir können per Handy steuern, wann die Rollläden zu Hause schließen, können per Fingerabdruck die Haustüre öffnen und es reicht schon ein Klick um im Internet an Lebensmittel zu gelangen. Bald schon wird alles, was nicht sofort und einfach erledigt werden kann, als lästig angesehen.

So kann es uns auch bei unseren Zielen im Leben gehen. Wir sind mit Leib und Seele schon so in dieser schnellen Welt, dass es uns ganz ungeduldig macht, wenn nicht alles nach Plan läuft. Manchmal kommt da Panik in uns auf und wir hätten am liebsten, dass sich unsere gesamte Welt nur noch um unseren Wunsch dreht. Wir laufen dann Gefahr, unbeweglich zu werden, stehen zu bleiben und unsere Aufmerksamkeit nur noch auf dieses eine Ziel zu richten, um es unter Kontrolle zu bringen.

Aber was hat Stricken damit zu tun?

Stricken, aber auch Arbeiten im Garten, Malen, genauso dieser Artikel, den ich im Moment schreibe, all das sind kleine Übungen für die großen Momente, die nicht nach Plan laufen. Wie oft ärgere ich mich über darüber, dass ich kein passendes Wort für meine Beschreibung finde, oder dass ich beim Malen keine Geduld aufbringen kann und eben auch, dass mir ständig die Maschen von der Nadel fallen. Und bei jedem Aufwallen von Frustration merke ich, dass mir das gar nichts nützt, denn davon wird der Artikel nicht fertig, das Bild nicht fertig und meine Socken kann ich im nächsten Jahr noch nicht anziehen.

Ich erlebe aber auch das Gefühl der Freude, wenn einige Wörter einen wunderbaren Satz ergeben, erkenne Fortschritte, nach dem Üben und erlebe in meiner Tätigkeit Grenzen, Hoffnung und Willensanstrengung. Und genau deshalb, weil diese Phasen der Handarbeit immer wieder jeden Tag auftauchen können, sind es die besten Übungsplätze fürs Leben. Dazu braucht es keinen "Wie-lerne-ich-mich-selbst-kennen-Kurs"! Die Selbsterfahrung kommt dann von ganz alleine.

Die Kunsttherapie macht sich diese Effekte zu nutze. Da werden unter anderem handwerkliche Arbeiten als Mittel zum Ausdruck verwendet; man gibt der Seele Freiheit, um neue Lösungsmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. Man geht davon aus, dass bei einem Gestaltungsprozess das Ich und somit auch das Selbstwertgefühl gestärkt wird und Ängste vermindert werden können. Dabei kommt es am Ende nicht darauf an, ob das entstandene Werk perfekt ist oder nicht – viel entscheidender ist der Prozess dorthin!

Kinder spielen
Spielen die nur? (Foto von Oliver Thylmann via Flickr)

Die wollen mehr als nur spielen!

Beobachtet man 2 Kindern beim Bauen einer Sandburg, erkennt man auf den ersten Blick nicht gleich, was in diesem Moment an schöpferischer Kraft und sozialer Interaktion geschieht. In aller Regel unterschätzen wir, was da passiert: "Ach die spielen ja nur." Wie viel Energie aber in das Zuhören gesteckt wird, wenn der Spielkamerad seine Idee erklärt und was für Arbeit das Gehirn leistet, diese Idee in seiner Vorstellung umzusetzen, bemerken wir gar nicht.

Die beiden verhandeln miteinander, welcher Eingang an welches Ende gebaut wird, wo die Straße entlang laufen wird und natürlich muss man sich auch auf den anderen verlassen können, wenn er sagt "Diese Brücke hebt felsenfest!" Das sind alles Prozesse, die auch im Erwachsenenleben benötigt werden.

Und ehe man sich versieht, haut einer der beiden mit der Schaufel auf die Burg und beide haben eine riesen Freude daran, ihr Werk zu zerstören. Wir Erwachsene wundern uns dann: "Warum macht ihr das? Die Burg war doch so schön!" Aber: Der Prozess war entscheidend!

Und was ist jetzt mit meinen Socken?

Die liegen im Moment unfertig in der Ecke und warten. Aber kein Problem, denn jetzt freue ich mich erst einmal darüber, dass ich den letzten Punkt an das Ende dieses Artikels setze.



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4 Kommentare:

  1. Was irgendwann daraus folgt, dass die Technik uns heute schon so vieles abnimmt, sehen wir in dem wundervollen Film WALL·E. Die Menschen dort werden in Allem von Maschinen bedient und fahren in seltsamen Schwebestühlen durch die Gegend. Sie haben nicht die Energie, ein paar Schritte zu gehen, denn sie haben es nie geübt.
    Noch ein Gedanke: Meine Oma stand oft bei mir neben dem laufenden Fernseher und suchte verzweifelt nach dem Namen von diesem oder jenem Schauspieler. Es dauerte oft eine Stunde, dann kam sie zu mir und nannte mir freudestrahlend den Namen. Sie wollte damit ihr Gedächtnis trainieren, hat sie immer gesagt, also üben nachzudenken. Ich würde heute ja einfach bei Wikipedia nachsehen (die Technik machts möglich). Das hatte meine Oma mir voraus :-)

    Üben ist oft lästig. Doch alles, was wir können, können wir nur, weil wir es geübt haben. Danke für die Lanze, die in diesem Artikel dafür gebrochen wird.

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    1. Katrin Hentschel13. April 2014 um 10:44

      Ich bedanke mich bei Dir für deinen so passenden Kommentar. Genau auf diese Sache wollte ich hinaus. Schön, dass es noch Menschen gibt, die genau so darüber denken!

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  2. Ich mag üben überhaupt nicht... Wie schnell werfe ich frustriert alles hin, mir fehlt einfach die Geduld. Dabei weiß ich daß man immer besser wird, auch wenn man die Fortschritte nicht gleich sieht oder bemerkt. Deswegen gehe ich jetzt auch mal eine Weile meine Sprachen üben :-)

    Liebe Grüße,
    Sandra

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  3. Aber ohne Üben hättest du doch auch all deine Instrumente nicht spielen lernen können ;)

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