30. Oktober 2015

Warum wir das Eine wollen und das Andere tun

Modulare Theorie zwischen Shakespeare, VW und Deutscher Bank

Erich Feldmeier (Institut für Querdenkertum und Innovation) erklärt uns in diesem Artikel mit Beispielen aus der Literatur, Politik und Wirtschaft, warum wir gegen unsere eigenen Überzeugungen handeln.

Romeo und Julia stammten aus zwei verfeindeten Familien, besser Sippen. Romeo stammte aus der Familie der Montagues und Julia stammte aus der Sippe der Capulets. Das Zerwürfnis ging so weit, dass sich Angehörige aus beiden Sippen auf offener Straße bekämpften, sobald sie einander gewahr wurden. Gleichzeitig gelten Romeo und Julia als das romantische Liebespaar schlechthin. Shakespeare hat uns damit ein zeitloses Stück Alltags-Philosophie hinterlassen und das berühmteste Liebespaar der Welt genießt bis heute eine ungebrochene Popularität in Filmen und Aufführungen. Was bedeutet diese so tragische und schwierige Konstellation eigentlich sozial-psychologisch für uns?

Passend dazu geht die amerikanische Psychologin Judith Rich Harris in Wie funktioniert die Welt? (Amazon-Link) der Stiftung Edge.org auf die sogenannte Modulare Theorie ein:

"Die modulare Theorie kann auch einige Rätsel des Alltags erklären. Ein Beispiel sind Konflikte zwischen Gruppen... Die Montagues und die Capulets hassten einander, aber Romeo verliebte sich in Julia... Wie kann man ein Mitglied einer Gruppe lieben und dennoch dieselbe Gruppe weiter hassen? Die Antwort: Daran sind zwei verschiedene geistige Systeme beteiligt… das Informations- und das Beziehungs-Modul... Beide Module sammeln Informationen über Menschen, aber sie verarbeiten die Daten unterschiedlich weiter... Das Beziehungsmodul sammelt und speichert detaillierte Informationen über Einzelpersonen. Es hat Spaß daran - deshalb haben wir so viel Freude an Tratsch, Romanen und Biographien." (Wie funktioniert die Welt?, S. 154)

Die Modulare Theorie gestattet uns also einen geistigen Brückenschlag zwischen eigentlich unvereinbaren Angelegenheiten, sodass beispielsweise Logik und Gefühle in unserem Kopf ins Reine kommen. Streng genommen müssten wir sagen, dass beide Systeme nicht miteinander fusionieren, sondern nebeneinander koexistieren. Diese Koexistenz zwischen unvereinbaren Dingen löst unser Gehirn evolutionär zwar recht elegant, aber wo Licht ist, ist oft auch Schatten. Die Nachteile dieser kognitiven Dissonanz zeigen sich in der Verhaltensbiologie, also beispielsweise in unseren Alltagsentscheidungen, die unser Verbraucherverhalten als Kunde beeinflusst. Das Rheingold Institut hat bereits 2011 eine Studie zu Kaufentscheidungen veröffentlicht. Die Ergebnisse in Kurzform: VerbraucherInnen bekennen sich in Umfragen überwältigend zu fair gehandelten Waren, geben jedoch im Durchschnitt nur 4 € jährlich für ebensolche Produkte aus. Seit dieser Studie vor vier Jahren hat sich jedoch nichts getan.

Not in my Backyard (NIMBY)

Jetzt legt das Rheingold Institut eine aktuelle Studie vor, die sich ebenfalls mit der Diskrepanz zwischen unvereinaren Überzeugungen beschäftigt. Der Studienleiter Jens Lönneker stellt erhebliche Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit fest. Lönneker spricht in dem Zusammenhang vom Luxus an paradoxen, sich widersprechenden Meinungen, die wir uns leisten. Das sogenannte NIMBY-Verhalten war ja in den Verhaltensentscheidungen von Menschen schon immer vorhanden. Bekannte Beispiele sind: Energiewende ja bitte, aber keine Stromtrassen in meinem Dorf oder auch #refugesswelcome aber bitte nicht vor meiner Haustür.

Was ist also neu? Besonders interessant in der Studie des Rheingold Instituts ist der Zusammenhang mit dem sogenannten Information Overload, der es Menschen offenbar zunehmend schwer macht, eigene freie Entscheidungen zu treffen und diese eigenen Meinungen dann auch konsequent zu vertreten. Die physiologische Belastbarkeit unseres Denkvermögens hat sich die letzten 10.000 Jahre kaum verändert, die Menge an täglich aufzunehmender Information ist jedoch ins unermessliche gestiegen. Die sogenannten freien Entscheidungen und Überzeugungen von Menschen würden durch Berichte, Videos, Meinungsmache sehr schnell über den Haufen geworfen bzw. relativiert. Das Clickbaiting in Sozialen Netzwerken sorgt beispielsweise dafür, dass nicht etwa ein gesellschaftlich besonders relevanter Beitrag von vielen gelesen wird, sondern einer, der sich aufgrund von cleveren Überschriften besser bei Facebook verbreitet (siehe Süddeutsche Zeitung). Vergessen wir nicht, dass  alles was unser Arbeitsgedächtnis belegt, unser Denkvermögen vermindert, wie Daniel Kahneman in seinem Nobelpreis gekrönten Lebenswerk Schnelles Denken, langsames Denken (Amazon-Link) feststellt. Einen weiteren Zusammenhang zum Information Overload stellt Kahneman folgendermaßen her:

"Eine zuverlässige Methode, Menschen dazu zu bringen, falsche Aussagen zu glauben, ist häufiges Wiederholen, weil Vertrautheit sich nicht leicht von Wahrheit unterscheiden lässt." (S. 85)

Information Overload bekommt so nochmal einen ganz neuen Touch, denn zweifelsfrei nimmt die Medienvielfalt und deren Nutzungsdauer stetig zu; die Anzahl der Werbewiederholungen verleitet nicht nur technikaffine NERDS dazu, sich der ständigen Wiederholungen durch Adblocker zu erwehren, was wiederum Medien-Produzenten ernüchtert, weil dadurch die sogenannte Gratis-Internet-Nutzung nicht mehr funktioniert. Kahnemans Liste weiterer "Kurzschlüsse", wie wir sie bei Entscheidern in Politik und Wirtschaft beobachten können, ist lang:

“Sie denken sich Erfolgsszenarien aus, während sie das Potenzial für Fehler und Fehlberechnungen übersehen. ... [diese Idee] erklärt vermutlich mit, weshalb Menschen prozessieren, weshalb sie Kriege anzetteln und kleine Firmen gründen." (S. 312)

Die Überheblichkeit vieler Top Manager, konsequent zu glauben, dass Erfahrungswerte und statistische Daten für sie selbst nicht gelten würden, haben wir zuletzt etwa bei der Deutschen Bank oder auch bei VW und vielen weiteren unternehmerischen Fehlentscheidungen gesehen.

Es ist die neurobiologisch gut verstandene Evolutions-Psychologie, die uns immer wieder in Fehlentscheidungen treibt und zwar wider besseres Wissen. Wir sollten eine gesunde Balance zwischen Gefühlen, Erfahrungswerten, Logik und Investitionsentscheidungen in dynamischen Zeiten anstreben, sonst werden wir weiterhin unvorhersehbaren Ereignissen böse überrascht.

Gegen potentielle Fehler müssen wir uns alle noch viel besser wappnen, sonst werden wir uns auch weiter leichtfertig in katastrophale Kriege und Umweltvernichtungs-Szenarien hinein begeben. Waren die kurzsichtig getroffenen Entscheidungen von Romeo und Julia gute Ratgeber? Zumindest legen sie einiges über unser Entscheidungsverhalten offen. Wir können doch inzwischen aus einem großen Erfahrungsschatz schöpfen. Shakespeare und angewandte Philosophie können uns beim Milch kaufen ebenso helfen, wie bei strategisch klugen Unternehmensentscheidungen und bei der Bewältigung der neusten Völkerwanderung, dieser chancenreichen Herausforderung, die man nun unglücklich "Flüchtlingskrise" nennt.



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2 Kommentare:

  1. Einen Unterschied bemerke ich zum Beispiel bei meinem Leseverhalten. Bin ich digital unterwegs bin ich flexibel. Ich kann mich rasch auf mehrere Themen einstellen bzw. aussuchen. Ich habe die Abwechslung und Inspiration für Neues, aber alles total grundverschiede Themenbereiche.

    Bin ich analog unterwegs, wenn ich ein Buch lese, bin ich viel konzentrierter. Mir fällt es sogar richtig auf, wenn ich nach dem Internet ein Buch zur Hand nehme. In ein Buch kann ich mich total vertiefen und ich habe das Gefühl, dass ich mich mit dem Thema viel gründlicher auseinandersetze.

    Deswegen finde ich beides in Kombination auch ideal.

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  2. digital ist super, Buch auch ;-)
    wir sollten uns auch gegen gedruckte oder TV-Werbung 'wappnen'
    und wir sollten uns stärker bewusst machen, daß Fehleinschätzungen aller Art 'evolutionär normal' sind
    EF

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