14. Juli 2016

Der Fremdenhass in dir und mir

Es kostet viel Energie, die anderen zu ertragen

Ich lebe am Rande der Großstadt Berlin, da wo es ein bisschen grün ist und wo man mit Fahrrad und Auto eigentlich alles ganz gut erreichen kann. Ich gebe es zu: Ich entziehe mich dem Personennahverkehr gern und ziehe den Individualverkehr vor. Zur Not fahre ich auch weite Strecken im Winter mit dem Fahrrad und freue mich über jeden Grund, der das eigentlich unentschuldbare Autofahren irgendwie zu legitimieren scheint. Heute jedoch fuhr ich wieder einmal S- und U-Bahn. Ich musste zum Standesamt, die Geburtsurkunde unseres Sohnes holen und ich dachte, das ist doch auch mal schön: in der Bahn sitzen, was lesen und ganz entspannt ankommen, ohne Stau oder gefährliche Ausweichmanöver auf dem Rad.

Was mir zuerst auffiel: Berlin ist voll geworden. Und was mir dann auffiel: Viele Leute, die es sich leisten können, machen es wie ich und verzichten auf den Personennahverkehr. Mit anderen Worten, es kommt (vor allem auf bestimmten Linien) zu einer mobilen Ghettoisierung in den Bussen und Bahnen. Man sieht die Alten und die Kranken, die Armen und die Obdachlosen und die einzelnen Mütter mit Kinderwagen, die Grüppchen Halbstarker. Überall wird gelärmt, gebettelt, rumgemotzt. Es stinkt nach Schweiß, Bier und alten ungewaschenen Haaren. Was im Image-Film der BVG ganz lustig daherkommt, ist im Alltag mitunter nur schwierig zu ertragen.


Vielleicht doch nicht ganz egal!

Natürlich wird Berlin nicht nur voller, es wird vor allem "bunter", wie man im Multi-Kulti-Deutsch sagen würde, oder eben fremder, wie man es als originaler Berliner auch empfinden könnte. In dem Zusammenhang muss ich sagen, dass es natürlich schwer fällt, mit diesen Unterschieden im Verhalten, im Aussehen, in der Lautstärke umzugehen. Denn es ist ja eben nicht nur ein Video, sondern es spielt sich in deinem realen Leben ab, gern im Abstand von nur einer Armlänge oder weniger. Du kannst dich nicht entziehen und das ist eine Zumutung. Wenn man es aus einer evolutionär-soziologischen Perspektive betrachtet, dann ist es für die menschliche Psyche sogar ein Umgang mit einer latenten Bedrohungssituation. Wie kann man da nicht aggressiv werden, wenn der Fluchtweg abgeschnitten ist?

Reibung nimmt zu, wenn sich die Unterschiede verdichten

Als ich im Standesamt darauf wartete, aufgerufen zu werden, beobachtete ich weitere, mir seltsam erscheinende Szenen. Ich hatte Frau und Kind zu Hause gelassen, die müssen den Stress ja nicht haben. Alle anderen Besucher des Standesamtes Charlottenburg an diesem Tag, mussten davon eine ganz andere Auffassung haben. Nicht nur hatten sie Frau und Kinder dabei, gern auch die Großmutter, die lauthals am Handy lamentierte und, wie es schien, Cousins oder Tanten und Onkel. Und die ganze Familie ging dann zusammen in das Beamtenzimmer, um ein Dokument einzureichen oder abzuholen. Es erschließt sich mir beim besten Willen nicht, wozu das an einem Donnerstag Nachmittag gut sein soll. Warum sind die anderen nicht zu Hause geblieben oder arbeiten oder im Park oder Café? Als ich endlich dran kam, schien die Standesbeamtin aufzuatmen und entschuldigte sich geradezu bei mir:

"Sie haben sich einen schlechten Tag ausgesucht. Sie sehen ja, Donnerstag ist es besonders voll, denn da haben wir am Nachmittag auf und es kommen immer alle die, die am liebsten bis Mittag schlafen." Ich sagte darauf: "Ja, bis Mittag schlafen ist mir auch am liebsten und ich bin ja nun auch heute Nachmittag hier." Sie stutzte kurz und sagte, "Aber sie wären doch sicher auch heute früh gekommen, wenn wir geöffnet hätten."

Ich fand das einen komischen Dialog, denn er zeigte so klar, dass sie mir gegenüber positiv voreingenommen war, weil ich ihr ähnlicher war, so angezogen war, wie ihr Sohn, ihre Sprache sprach und dadurch vielleicht sogar gebildeter schien, als all die anderen Klienten. Im Grunde ist es latent fremdenfeindlich. Und gleichzeitig ist es ein "natürlicher" Reflex. Wir mögen Menschen lieber, die uns ähnlich sind, mit denen wir offenbar mehr gemeinsam haben, die uns besser verstehen. Das ist der wirkliche Grund hinter all dem dummen Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit.

Es kostet viel Energie, sich reflektierend gegen diese Impulse zu stemmen, wenn man jeden Tag mit diesen Zumutungen des Fremden konfrontiert ist. Und eben das ist das, was wir tun müssen: Reflektieren und anderen helfen zu reflektieren. Ich finde den sublimen Fremdenhass, der die Gewalt und Dummheit nährt, furchtbar. Aber wir können nicht erwarten, dass er verschwindet, nicht ohne einen riesigen Aufwand an Energie in der Kommunikation, Erziehung und Bildung. Und auch die Politik muss sich hier zusammenreißen. Eine Politik nach Merkel, die meint, sich nicht erklären zu müssen, öffnet dem Ressentiment Tür und Tor:



Der ganze Tag war eine interessante Begegnung mit mir selbst und meinen Kapazitäten im Umgang mit den Zumutungen des Alltags der Diversität. Ich habe mehr Verständnis für die Schwierigkeiten im Umgang miteinander: Reibung (oder auch Aggression) ist geradezu zu erwarten in einer Welt der verdichteten Unterschiede. Und ich hab mich ein bisschen über mich selbst erschrocken, wie leicht es ist, sich den naheliegenden Ressentiments gegen "die anderen" hinzugeben.



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10 Kommentare:

  1. Ich kann nur meinen ganz persönlichen Umgang mit Mitmenschen beschreiben. Und den kann man mittlerweile als nicht sehr menschenfreundlich bezeichnen.
    Ich bin viel unduldsamer geworden. Im Autoverkehr regen mich die langsamen Fahrer auf, die agressiven Überholer. Überhaupt, was die alle wollen und wohin sie müssen, immerzu.
    In der Arztpraxis nerven mich die armen "Schweine", die sich einen Arsch abwarten müssen, also genauso "schwach" wie ich sind.
    Im Beruf empfinde ich Wut auf die, die mir durch eine Unachtsamkeit zusätzlichen Stress aufbürden.
    Vielleicht geht es vielen so? Ich vermute: Ja!
    Gestern wählte ich mich in eine falsche Konferenz ein, merkte das recht spät und wechselte schnell zu der mir zugedachten. Ich entschuldigte mich auf Englisch für meinen Fauxpas, wurde aber durch einen der Akteure beruhigt. Ich hatte ihn "geschädigt", aber er empfand das nicht so. Er verwandte Liebe auf mich! Und das war keine Attitüde, auch kein Knicke, sondern reine Menschlichkeit und Laisser-faire.
    Immer wieder stösst man auf solche Menschen, einen Tschechen etwa, den ich ab und an im Bus treffe und der so ruhig und ausgeglichen wirkt. Ich habe dabei den Eindruck, daß diese Leute NICHT einen spirituellen Kurs absolviert haben, in irgendeiner Form, sondern wohl eher eine gute Kinderstube hatten. Nichts Angeeignetes, sondern wohl immer so vorhanden.

    Gestern auf der Suche nach einem neuen Sachbuch sties ich auf Waals Buch über die Bonobos, wobei ich eine Leseprobe nutze. Diese Affenart ist offenbar weitgehend unagressiv, ganz im Gegensatz zu den Schimpansen, von denen man sich so manche hyperagressiven Verhaltensweisen erzählt. Ich dachte bei mir: Das passt doch ganz gut zu dem Menschen und seine offenbar agressive Grundausstattung.
    Ein Psychologe würde aber sagen: Arbeite doch Deine Enttäuschungen und bestimmte Missbräuche in der Kindheit auf, dann kannst Du die Wut und Agression sein lassen. Ich denke, sie haben recht darin. Es führt kein Weg daran vorbei, will man gesunden.
    Gerhard

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    1. Danke für deine offenen Schilderungen, in denen ich mich auch wiedererkenne. Ich weiß nicht, ob Psychoanalyse dazu sein muss. Es steckt viel in unseren angeborenen Temperamenten, denke ich. Manche, wie dein Tscheche haben es einfacher, wenn sie ein ruhiges, offenes und nicht so narzistisches Temperament haben.

      Aber auch wenn wir mit den Temperamenten nicht Glück hatten, können wir sicher etwas tun, vor allem, indem wir reflektieren und uns vergegenwärtigen, was gerade passiert. Ich arbeite schon länger daran, Wege in eine größere Gelassenheit zu finden. Letztlich schadet unsere Wut ja nicht nur unseren Mitmenschen, sondern auch uns selbst. Hier sind ein paar Artikel dazu:

      Wütend? Warum wir die Nerven verlieren
      17 Wege, um anhaltend schlecht gelaunt zu sein
      Eine Philosophie der Ruhe und Gelassenheit

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    2. Also in Sachen Wut etc. kann ich aus Erfahrung sagen: Yoga hilft! Allerdings erst nach einer längeren Praxis, denn der Körper braucht zumindest ein paar Monate Zeit, um Atmung und Muskelverspannungen zu normalisieren. Eine Stunde in der Woche reicht dafür nicht und eine gute Lehrperson, die das Ganze nicht so esoterisch oder sportlich lehrt, ist auch unverzichtbar.

      Wenn der Körper erstmal Entspannung als Normalzustand erreicht hat, spürt man genau, dass jegliche heftige Emotion zwangsläufig mit Verspannung einher geht (Bauch, Solar Plexus..). Man braucht das dann aber nicht mehr bewusst zu lösen, irgendwas "übend", sondern der Körper kehrt freiwillig und automatisch in die - faulere, angenehmere - Entspannung zurück, womit auch die Gemütswallung verschwindet. Es sei denn, man hält sie mittels "wütender Gedanken", die den Ärger wieder und wieder repetieren, fest.

      Es gibt auch Menschen, die das ohne Yoga so drauf haben! Ich vermute, das sind Menschen, die sich immer schon körperlich mehr und abwechslungsreicher bewegen als der durchschnittliche Sitzmensch von heute. Alleine reicht ein flexibler Körper aber nicht immer aus - es muss auch der Wille dazu kommen, nicht selbstgerecht am Ärger festzuhalten.

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  2. Deine übersetzung des Artikels auf"The Book of Live" ist gewinnbringend! Enttäuschte Erwartung! Meine Partnerin meint oft: "Jetzt waren wir zwei, drei Tage voller Harmonie zusammen und nun deine Unfreundlichkeit jetzt! Du kannst offenbar dauerhafte Harmonie nicht ertragen!" Man könnte jetzt einfach sagen: Die lange Phase harmonischen Zusammenseins hatte falsche Erwartungen geweckt?!
    Danke.
    Gerhard

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  3. Der Artikel trifft es auf den Punkt.
    Leider sind viele Mernschen auf den öffentlichen Verkehr angewiesen und können sich dem nicht entziehen, genausowenig wie den Massen in Ballungsräumen.
    Und vielen fehlen nach/vor einem Arbeitstag einfach die Kapazitäten/die Energie, an sich und seinen Einstellungen zu arbeiten, da ist dem natürlichen Reflex nachzugeben die bequemere Variante, vor allem wenn daheim noch Kinder und Haushalt warten.
    Warum ist es wohl die Arbeiterschicht bzw. der Dienstleistungssektor, bei denen Xenophobie ziemlich stark ausgeprägt ist? - Weil sie tagtäglich mit diesen Unterschieden konfrontiert sind...
    Andere radeln gemütlich um 10 in die Uni oder zum Gleitzeitjob und umgehen somit mal die Rush Hour, auch ist es in den Öffis dann halbwegs ruhig. Diese Exemplare haben unter der Woche Zeit zum Einkaufen, müssen also nicht am Samstag in Menschenmassen eintauchen, oder darauf hoffen, dass der nächste Supermarkt wenigstens bis 19 oder 20 Uhr offen hat, um sich dann in eine Menschenschlange einzuordnen, die zum Großteil aus Leidensgenossen besteht...
    Und wenns mal nicht so passt, dann geht man halt in den Yogakurs oder zum Lebensberater, um seine innere Ruhe und seine Nächstenliebe wieder her zu stellen, um dann letztendlich den anderen vorzupredigen, dass diese Ihr Leben und ihre Jobsituation ändern müssen, wenn sie damit nicht zufrieden sind...

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    1. Ja, da gebe ich dir Recht. Ich glaube daher kommt auch der zynische und nicht eben nette Begriff "Gutmensch". Es gibt da die Ansicht, man muss es sich eben leisten können, gut zu sein. Da ist etwas dran, aber das kann nicht alles sein.

      Wir haben auch dann als denkende Wesen die Pflicht, unsere Vorurteile zu hinterfragen, wenn wir immer wieder Stress ausgesetzt sind. Das ist dann natürlich ungleich schwieriger. Aber wenn wir das nicht von uns verlangen würden, wo kämen wir dann hin? Sagen wir dann, es sei okay, wenn Leute sich gegenseitig beschimpfen, weil sie unter Stress stehen oder anders aussehende verprügeln oder Flüchtlingsunterkünfte anzünden? Natürlich nicht, das können wir unmöglich wollen.

      Die Frage ist also: Was machen wir mit der Erkenntnis, dass es für einige schwieriger ist, diese Toleranz aufzubauen und aufrecht zu erhalten?

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  4. Da wird nichts Anderes helfen, als deren Stress-Situationen abzubauen: Arbeitszeitverkürzung, mehr Wertschätzung am Arbeitsplatz, vielleicht ein BGE, um der Sache einen heftigen Schub zu geben (hab gelesen, dass Ex-Piraten dafür demnächst eine Partei gründen).

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  5. "Nicht nur hatten sie Frau und Kinder dabei, gern auch die Großmutter, die lauthals am Handy lamentierte und, wie es schien, Cousins oder Tanten und Onkel. Und die ganze Familie ging dann zusammen in das Beamtenzimmer, um ein Dokument einzureichen oder abzuholen."

    Es ist ein Standesamt - vielleicht ging es um eine Hochzeit, die ja in vielen Kulturen eine Sache der Großfamilie ist.
    Oft fallen auch Sprachkenntnisse und Entscheidungesbefugnis auseinander, weshalb sowohl die Sprachkundigen (oft Jugendliche) als auch alle, die in der Sache mitzureden haben, zusammen erscheinen.

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    1. Bin zwar mit meinem Kommentar etwas spät dran - habe diese website und die Blogs hier aber gerade erst entdeckt ;-) Ganz sicher ist es in anderen Kulturen üblich, dass das halbe Dorf miteinander verwandt ist und solche "Großfamilien" vieles gemeinsam erledigen. Dazu muss ich aber anmerken, dass diese Art Lebensstil in unserer Kultur nicht üblich ist und in unsere Gesellschaftsstruktur nicht passt. Diese Art "Familienausflug" scheint auch schon bei Ärzten und Kliniken hier in unserem Land zu größeren Platzproblemen (ist ja auch eine Frage der Hygiene) geführt zu haben. Bemerkte ich neulich doch in einem Wartezimmer einer Tagesklinik folgende Mitteilung: Wir bitten nicht mehr als eine Begleitperson mit ins Wartezimmer zu nehmen. Das hat nichts mit Fremdenhass zu tun sondern ganz einfach mit unserer Kultur, die man beachten sollten wenn man in unserem Land leben will.

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    2. Ja, ich bin da auch sehr hin und her gerissen. Wie viel "eigene Kultur" soll Immigranten denn gewährt werden und wie total soll die Integration sein? Ein schwieriges Thema, aber als jemand der selbst sieben Jahre im Ausland gelebt hat, weiß ich auch, dass ich in anderen Ländern nicht einfach alles so machen kann, wie ich es von zu Hause gewohnt bin. Das stimmt schon.

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