26. Oktober 2011

Das Impostor-Syndrom trifft immer die falschen

Misunderestimated
Was ist los mit Menschen wie dem jungen Banker der Société Générale, der 2008 unbemerkt fünf Milliarden Euro seines Arbeitgebers verzockt hat? Oder der 31-jähige UBS Angestellte, der in diesem Jahr seiner Bank "Verluste in Milliardenhöhe erwirtschaftete"? Das müssen krasse Einzelfälle sein, könnte man denken. Sieht man sich jedoch die Finanzbranche insgesamt an, wo Gewinne privat bleiben, aber Verluste stets vom Steuerzahler aufgefangen werden, kann man leicht zum Schluss kommen, dass in der dieser Branche überwiegend Menschen arbeiten, die notorisch hohe und ungedeckte Risiken eingehen. Die Branche ist unter Marktbedingungen nicht rentabel. Das wird auch von der Beobachtung meines Ari-Deka Fonds bestätigt, den ich vor 12 Jahren für 3000 D-Mark kaufte und der inzwischen nur noch 800 Euro wert ist. Die gleiche unfähige Branche bewertet dann die Kreditwürdigkeit ganzer Staaten und macht sie damit handlungsunfähig.

Überspitzt könnte man sagen, dass allzu oft diejenigen, die Geschicke dieser Welt lenken, die sich und ihre Fähigkeiten krass überschätzen. Erinnern wir uns zum Beispiel an G. W. Bush. Solche Menschen gehen unvernünftige Risiken ein und jagen den schnellen Kicks kurzfristiger Gewinne und Siege hinterher. Oft zum Schaden ganzer Staaten oder sogar der gesamten Welt. Sie sind natürlich nicht (immer) dumm, aber eben doch nicht so schnell und hell, wie sie selber denken. Man kann sie sicher nicht alle in eine Schublade stecken und behaupten, sie seien alle so oder so. Aber man kann sagen, was sie nicht sind: Nachdenkliche und auf Nachhaltigkeit bedachte Charaktere, die Risiken abwägen und sich um die Folgen ihres Handelns kümmern. Solche Leute würde man im Finanzrummel und der Politik Zauderer nennen.

Ich finde die Ironie faszinierend, dass fast alle, die was auf dem Kasten zu haben scheinen, an einer Art Impostor-Syndrom leisten, immer schön das Maul halten und sich nicht trauen, auf den Knopf zu drücken. Die hingegen, die tragischer Weise nichts von ihrem Handwerk verstehen, sind besonders überzeugt von sich und ihrem Können, weil ihnen der rechte Einblick fehlt, um ihre Inkompetenz zu sehen.* Das Impostor-Syndrom trifft also immer die falschen. Es gibt nicht zu wenige Zweifler, sondern zu viele Aktionisten, die sich selbst überschätzen und die Risiken ihres Tuns unterschätzen. Der Umkehrschluss gilt wie immer (also aus logischen Gründen) nicht: Nicht jeder der von seinem Können überzeugt ist, ist auch ein Dummkopf.

Aber warum lassen wir die vom Dunning-Kruger-Effekt betroffenen Menschen uns ruinieren? Nur weil sie selbst ihre Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit nicht erkennen, müssen wir ihnen doch nicht unsere Konten oder Armeen anvertrauen! Eine Erklärung wäre, dass wir denen mehr zutrauen, die selbstbewusst auftreten und sich in ihrem Tun von Zweifeln nicht erschüttern lassen. Solche Menschen sind wichtig, damit wir überhaupt etwas bewegen können. Aber wir scheinen uns einseitig auf sie eingeschossen zu haben, während wir die nachdenklichen und vorsichtiger mit Risiken umgehenden Menschen nur noch als Bremsklötze wahrnehmen. Siehe dazu auch die Rezension von Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt. Wie kriegen wir es als Menschheit hin, auf alle verschiedenen Stärken zu bauen und den vorsichtigen und leisen Menschen ihr latentes Impostor-Syndrom zu nehmen? Wir benötigen ein Umdenken in Richtung Diversität bereits im Kindergarten, in der Schule und natürlich in den Banken und Parlamenten.


*Justin Kruger and David Dunning: "We propose that those with limited knowledge in a domain suffer a dual burden: Not only do they reach mistaken conclusions and make regrettable errors, but their incompetence robs them of the ability to realize it." (PDF: Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One's Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments In: Journal of Personality and Social Psychology. 77, Nr. 6, 1999, S. 1132)

2 Kommentare:

  1. ich habe gerade was bei g+ entdeckt, was sehr gut zu diesem Artikel passt.
    Scientific American hat einen Artikel veröffentlicht, der in kürzester Zeit enorme Reaktionen in der Wissenschafts-Gemeinde hervorgerufen hat.

    Wir erkennen immer mehr, dass Persönlichkeit eine genetisch-neurobiologische Wurzel hat,
    die nicht so einfach zu überwinden ist, zumindest nicht im unbewussten AUTOPILOT-Modus.
    In dem Sinne wie Susan Cain die Experimente von Jerry Kagan beschreibt.

    "Born smiling? THE idea that the human personality is a blank slate, to be written upon only by experience,
    prevailed for most of the second half of the 20th century...
    Over the past two decades, however, that notion has been undermined"
    http://www.economist.com/node/21532247
    was von 'Hard Core Wissenschaftlern' folgendermassen kommentiert wurde:
    "Explosive stuff. I expect to see more of this in the near future"
    Da passt es auch, dass edge.org gerade wieder einen brillanten Artikel
    zur neurobiologischen Ethik publiziert hat:
    http://edge.org/conversation/neuroscience-and-justice-gazzaniga

    Wir müssen den - !möglicherweise! - drastischen Konsequenzen ins Auge blicken, mit Helena Cronin gesprochen:
    "Wissenschaft hat keine ideologischen Implikationen. Sie sagt uns einfach, wie die Welt ist – nicht wie sie sein sollte.
    Wenn sich eine Rechtfertigung, ein moralisches Urteil oder sonst irgendeine dieser »sollte«-Aussagen
    als Schlussfolgerung aus rein wissenschaftlichen Prämissen ausgibt, kann man daher nur eines tun,
    nämlich die Logik der Folgerung in Frage zu stellen; die Prämissen bleiben davon unberührt.
    Leider sind die Menschen häufig derart entrüstet über die Schlussfolgerungen, dass sie nicht deren Fehlerhaftigkeit,
    sondern die wissenschaftlichen Erkenntnisse insgesamt zurückweisen."

    vgl. auch:
    http://www.scientificamerican.com/article.cfm?id=the-unleashed-mind
    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/FredrikUllen_ki_se

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  2. Ja, im Kindergarten müssen wir damit anfangen:
    "Wer mit seiner Meinung in der Minderheit ist, hat es nicht immer leicht. Und manch einer neigt dazu, seine Ansichten der Mehrheit anzupassen. Jetzt zeigt eine Studie: Bereits Vorschulkinder beugen sich dem Gruppendruck Gleichaltriger, selbst wenn sie es besser wissen.
    http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,793945,00.html

    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/DanielHaun_eva_mpg_de

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