Die Perversion protestantischer Tugenden im weißen Evangelikalismus
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Die Trumps beten in der Redemptor Hominis Church (White House, Public Domain) |
Das Unchristliche wird zum Über-Christlichen
Christliche Werte stehen hoch im Kurs in dem Land, in dem sich 65% der Einwohner an die christlichen Religionen gebunden und nur 27% der Menschen sich nicht religiös gebunden fühlen. Diesen christlichen Werten als fehlbarer Mensch gerecht zu werden, ist nicht leicht.
"Ich habe viele Frauen voller Lust angeschaut. Ich habe in meinem Herzen schon oft Ehebruch begangen." (Top 10 Unfortunate Political One-Liners, Time.com)
Wegen dieses Satzes in einem Interview im Jahr 1976 verlor der damalige US-Präsidentschaftskandidat Jimmy Carter beinahe die Wahl.
"Ich fange einfach an, sie zu küssen. [...] Ich warte nicht einmal. Und wenn du ein Star bist, lassen sie dich. [...] Pack sie an der Muschi. Du kannst tun, was du willst." (Trump Watching Access Hollywood Tape During E. Jean Carroll Deposition, YouTube)
Trotz (oder wegen?) dieses Satzes in einem Interview 2005, das kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 veröffentlicht wurde, gewann Donald Trump die Wahl und wird von Anhängern sogar als von Gott gesandt beschrieben. Inzwischen ist dieser Mann auch wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt und steht wegen Verschleierung von Wahlkampffinanzierung im Zusammenhang mit zwei außerehelichen Affären mit Pornstars vor Gericht. Und dennoch steht es um seine Wiederwahl nicht schlechter als 2016 und 2020. Stellen wir uns vor, sein politischer Gegner (z.B. Joe Biden) wäre wegen solcher Dinge angeklagt und von Skandalen und Vorwürfen umgeben... Niemals hätte so jemand eine Chance, Präsident zu werden.
Verfechter der traditionellen Ehe und des Anstandes
Gewählt wird Trump vor allem von kulturell konservativen bis rechten Bürgern und am treusten ist ihm die Gruppe der erzkonservativen Weißen Evangelikalen Protestanten (13,6% der US-Amerikaner), von denen 70% bis 80% Trump wählen. Das sind die Verfechter der Ehe und des Anstandes und die Gegner jeglicher Abtreibung, jeglicher Pornographie oder Masturbation, von Ehebruch ganz zu schweigen. Sie sind es, die meinen, Donald Trump sei das Werkzeug Gottes.
Es drängt sich die Frage auf, wieso gerade diese Hardcore-Vertreter christlicher Werte wie heilige Ehe, Enthaltsamkeit und ehrlicher Fleiß jemanden wählen, der ganz offenbar ständig gegen diese Werte verstößt? Um etwas vorweg zu greifen: Sie wählen ihn nicht trotz, sondern wegen seiner unchristlichen und nicht zuletzt wegen seiner rassistischen Ansichten. Denn sie vertreten die Auffassung, dass die USA von weißen Christen für
weiße Christen gegründet wurden und sie deshalb die weiße christliche
kulturelle und politische Dominanz im Land wieder herstellen müssen. Ein von Gott gesandter Superheld, der immer wieder an moralischen Herausforderungen scheitert, kommt ihnen da gerade recht.
Christlicher Einfluss auf Politik und Gesellschaft in den USA
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Christlicher Nationalismus: Klansmen vor dem brennenden Kreuz (University of Chicago) |
Generell ist es so, dass der Einfluss christlicher Überzeugungen auf Staat und Gesellschaft in den USA weitaus mächtiger ist, als in den meisten europäischen Ländern. So wurde das Land im 16. Jahrhundert ja auch kolonisiert – als Exil von in Europa verfolgten radikalen Protestanten. Sie schworen und nahmen sich vor, dass ihr Glaube nie wieder von einer Regierung unterdrückt werde. Deshalb übrigens auch die amerikanische Hartnäckigkeit, an all den Waffen festhalten zu können – um sich nötigenfalls gegen eine "unchristliche" Regierung wehren zu können.
Die politische Rhetorik ist voll von christlicher Sprache und Symbolik. Verweise auf Gott, Gebete und Appelle an christliche Werte sind bereits seit der Verfassung von 1789 in politischen Reden häufig, insbesondere in Zeiten nationaler Krisen oder bei Diskussionen über moralische Fragen. Auch wird wo immer möglich in der US-Politik auf die Bibel und bei Gott geschworen.
Damit haben christliche Überzeugungen auch die Entwicklung von Gesetzen und
Richtlinien in den Vereinigten Staaten immer beeinflusst, insbesondere in
Bereichen wie Ehe, Abtreibung und Bildung. Christliche Lobbygruppen beeinflussen die Gesetzgebung massiv und versuchen, die öffentliche Politik
gemäß ihren religiösen Werten auch gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung zu gestalten.
Auch über die politischen Institutionen hinaus beeinflusst das Christentum die amerikanische Gesellschaft, seine sozialen Normen, kulturellen Praktiken und Gemeinschaftsorganisationen. Kirchen und religiöse Institutionen fungieren häufig als Zentren des Zusammenlebens und spielen eine aktive Rolle bei der Lösung sozialer Probleme. Immer noch gibt es einen christlichen Nationalismus in den USA, eine zur Zeit wieder erstarkende Bewegung, die anstrebt, das Christentum der Weißen so als Staatsreligion zu verankern, wie z.B. der Islam im Iran staatlich verankert ist.
Der Stellenwert pietistischer und moralisch streng konservativer Überzeugungen in den USA ist deutlich. Es wird damit aber immer noch nicht klar, warum es gerade diese Bewegungen sind, die den moralisch sehr libertären Donald Trump unterstützen, ihn wählen und bis aufs Blut verteidigen.
Was sollen diese "christlichen Werte" denn sein? Etwa:
AntwortenLöschenNeues Testament der Bibel, Matthäus 10,34: "Ihr denkt, ich (Jesus, Morgenstern) bin gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert."
Oder: Diese christliche Nächstenliebe wird oft betont, beispielsweise nach dem Motto: "Liebe deine Feinde" (....wie dich selber...) - aber ist es wirklich so einfach innerhalb dieser dualistischen Welt? Liebe deinen Nächsten, wie dich selber? Liebe deine Feinde, wie dich selber? Betrachten wir das Neue Testament, Lukas 14,26: "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter, seine Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein" -> bedeutet ganz konkret: Jeder soll jeden hassen - und auch sich selber. ->
https://www.mythologie-antike.com/t23-gott-eosphoros-phosphoros-lichttrager-lichtbringer-morgenstern
Danke für Ihren Kommentar, Herr Fischer.
LöschenIch weiß nicht genau, worauf Sie abzielen mit Ihrem Kommentar, bzw. wo der Zusammenhang zum Text oben ist. Ich vermute, Sie meinen, dass das Anführen von "christlichen Werten" im Zusammenhang mit "unchristlichem Verhalten" nicht ganz in einander aufgeht, weil es eben "die christlichen Werte" nicht gibt.
Dazu würde ich sagen, dass wir von heutigen Christen erwarten würden, dass sie es verwerflich finden, wenn jemand seine Frau mit einer Pornodarstellerin betrügt und diese Pornodarstellerin dann mit Geld zum Schweigen bringt. Da sind wir uns sicher alle einig, dass das kein "typisch christliches" Verhalten in der Moderne ist.
Da ist es eben interessant, dass jemand, der sich so "unchristliche" verhält, dennoch eine vehemente Unterstützung gerade dieser evangelikalen Christen bekommt. Eine Erklärung ist die, die ich oben beschrieben habe.
Aber wenn Sie doch auf etwas anderes hinaus wollten, dann lessen SIe uns das gern wissen.
Religion ist ja auch – wie rauchen, trinken, kiffen..- ein Narkotikum (Karl Marx) mit dem jemand die Zerrissenheit "der Welt/ seiner Welt" für sich erträglich macht. Auch Putin .... Wir sind dabei alle unterschiedlich aber eben "Gefangene" und "Helden" unserer Süchte. Als Gefangene (des Satans) geben wir uns ihnen hin, als Helden (Gottes) zwingen wir sie nieder, zumindest leben wir sie in geordnete Bahnen. Saufen nicht täglich, sondern nur einmal im Quartal..etc. etc. In besonderen Fällen (wie bei Trump) gibt er seinen Süchten nach, "sündigt" also nach christlichen Massstäben u n d geht in die Messe, zu Beichte und bittet seinen Gott um Vergebung - denn er war in den Händen des Teufels-. Gottes Ratschlüsse sollen ja unergründlich sein. Also sagt er und dann seine Gemeinde (einfach): Gott ( sicherlich durch einen Stellvertreter) habe ihm vergeben. Er hat ja Reue gezeigt.
AntwortenLöschenDas ist für nachsichtige Christen "das normalste“ in ihrer Welt. Nicht umsonst wurde zwischen Himmel und Hölle das Fegefeuer (von einem gnädigen Gott d.h. seinem treuen Philosophen Augustinus) eingerichtet. Man will nicht jeden gleich in die Hölle schicken, dann wären die Kirchen ja ganz leer. Denn wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein..sagt Jesus / Gott resp. der Evangelist zu den meuternden Massen die eine Hure steinigen wollten.( Ist das nicht genau auf Trump zugeschnitten? Na bitte- Gott kannte Trump ja (oder war es Trump der Gott kannte..egal) Also schickt man ihn zur Buße ins Fegefeuer wo er nach verrichteter Buße wieder "gesellschaftsfähig wird. In unseren Breitengraden nennt man das "Rehhabilitation". Alle straffälligen und ihre Gesellschaft stehen unter diesem Diktum.
So könnte ich mir die Lage von Trump und seinen Getreuen vorstellen: er ist (wie wir alle :-)) ) einer von uns – ein Gefangener mit spezifisch menschlichen Süchten aus denen er heraus gesündigt hat. Gleichzeitig ist er der "Held" der seine Süchte bereut, zähmt und niederzwingt. Das kann ja ein weltliches Gericht gar nicht beurteilen also über Trump nicht urteilen. Das kann nur Gott.
Schluss! Sagen seine Anhänger: Er geht zur Kirche, kniet nieder und macht ein reuevolles Gesicht.
Wir können und werden ihn aus christlicher Solidarität also wählen. Wenn die Nicht-Gläubigen mosern, zeigt das, das wir noch mehr und richtig gottgemäß handeln.
Welch ein Gedicht!!!!
Die Dialektik der Populisten ist göttlich!
Welch wunderbares Schild hinter dem sich unglaublichste (hic!) Taten vollziehen.
Danke für den Kommentar, phs! Ja, ich finde so kann man das gut beschreiben. Es ist ja vielleicht für die ihn beobachtenden Christen auch eine Entlastung zu sehen, dass dieser Mann, der ihre Interessen vertreten soll, so fehlbar wie sie selbst und noch mehr ist. Dann muss man sich für sich selbst nicht so schämen.
LöschenJa – Dialektik, Konstruktivismus und Story-Telling sind enorm effektive Transporttechniken für die Verwirrung und das Auflösen von Realität.
Hallo Gilbert!
LöschenSoeben fand ich im Monopolmagazin diesen Artikel in dem es direkt am anfang auch um Trump geht und der mich (natürlich!:-)) sofort an Sloterdijk erinnerte.
https://www.monopol-magazin.de/infantilisierung-politik-krise-eskapismus-warum-sich-eine-ganze-generation-zurueck-die-kindheit-sehnt
Danke fürs Teilen! Ja, "back to the whomb", da muss man schon an die Sphären denken, klar.
LöschenIch denke aber auch, dass Regression in solchen Zeiten eben menschlich ist, wie der Artikel ja auch sagt:
"In solchen Momenten ist es kein Wunder, dass Menschen nach einem mentalen Raum suchen, der frei von der Last dieser Verantwortung ist."
Wir meckern gegen die ständige Selbstoptimierung und wenn dann mal eine wirklich anti-wirtschaftsliberale Tendenz wie Selbst-Infantilisierung sichtbar wird, meckern wir auch. Vielleicht, weil wir lieber die goldene Mitte hätten. Auch legitim:
"Denn ohne diese [mutige] Haltung droht uns nicht nur der Verlust von Freiheit und Mitgefühl, sondern auch der letzte Funke Hoffnung auf eine Welt, die wir selbst gestalten."